So schnell er aufgetaucht ist, so schnell ist er wieder verschwunden. Nur ein paar Sekunden lässt sich der Adlerrochen am Außenriff der kleinen unbewohnten Insel Olhagiri blicken. Mit einem kräftigen Flügelschlag taucht er dann wieder in die Tiefen des plankton-reichen Wassers ab. Die Strömung ist stark an diesem Tag, und die Sicht nicht optimal. "Die Wassertemperatur bewegt sich derzeit zwischen 28 und 29 Grad", erklärt Tauchlehrer Mickey Hogeling nachdem das kleine Grüppchen aus rund 18 Metern Tiefe aufgetaucht ist – vorbei an mehreren Tun- und Napoleonfischen und einem Schwarm Red Snapper, die über dem Riff ihre Bahnen ziehen. "Ideal wären ein, zwei Grad weniger."

Anders als im weitaus größeren Nord Ari Atoll, wo es schon seit knapp einem Jahr durchgehend über 29 Grad hat, ist das Wasser hier im nordwestlichen Teil des Baa Atolls eine Spur kühler. "Das hängt damit zusammen, dass wir uns an der Außenseite des Atolls befinden." Das ist gut für die Korallenriffe. Sie weisen hier selbst für maledivische Verhältnisse eine außergewöhnliche Biodiversität auf. Und das ist gut für den Fischreichtum.

Die Artenvielfalt ist außergewöhnlich hoch – selbst für maledivische Verhältnisse.
Foto: Sascha Tobias Tegtmeyer

Ganze drei Orte, wo immer wieder Mantas gesichtet werden, gibt es in dieser Ecke des Atolls. "Das ist außergewöhnlich", erklärt Hogeling. Der Holländer arbeitet seit 15 Jahren als Tauchlehrer, acht davon verbrachte er auf den Malediven: "Vor drei Wochen habe ich das erste Mal in meinem Leben einen Hammerhai gesehen", erzählt er und schildert, wie der Hai auf ihn zugeschwommen und im letzten Moment abgedreht sei. Eine Geschichte, die in den nächsten Tagen auf der maledivischen Ferieninsel Dhuni Kolhu die Runde machen wird.

Strahlend weiß und sattgrün

So viel passiert auf den 600 mal 300 Metern nämlich nicht. Frühstück, Lunch, Dinner, die Zeit dazwischen verbringt man meist in horizontaler Lage, wahlweise auf einer Sonnen- oder Massageliege. Der Sand ist strahlend weiß, die Palmenkronen sattgrün, das Meer vielfarbig blau. Eine Postkarteninsel, jedes Foto ein Treffer.

Jedes Foto ein Treffer: willkommen auf der Postkarteninsel.
Foto: Stephan Hilpold

Wer Action will, kommt nicht hierher. Oder es zieht ihn unter die Wasseroberfläche, entweder ans Hausriff oder an einen der vielen mit dem Boot erreichbaren Tauchgründe. "Das Besondere an den Malediven ist, dass wir uns mitten im Ozean befinden", erklärt Hogeling: "Die Chance Walhaie, Mantarochen oder Schildkröten zu sehen, ist ziemlich hoch. Und viele der Korallenriffe sind noch intakt."

Gefahr durch El Niño

Das ist nicht überall so. Als im Jahre 1998 (und später noch einmal 2010) das Wetterphänomen El Niño die Weltmeere erwärmte, schoss die Unterwassertemperatur auf den Malediven bis auf 34 Grad hoch. Die Korallen bleichten aus, viele starben ab. Die Schäden waren gewaltig, weiß Meeresbiologin Chiara Fumagalli. Manche Forscher sprechen davon, dass bis zu 90 Prozent der Organismen beschädigt oder abgetötet wurden. Auf eine Zahl festlegen will sich die Forscherin nicht.

Tauchlehrer Mickey Hogeling: "Wir befinden uns hier mitten im Ozean."
Foto: Sascha Tobias Tegtmeyer

Die 40-jährige Italienerin lebt (mit Unterbrechungen) seit acht Jahren auf den Malediven, derzeit bringt sie Gästen auf Dhuni Kolhu und dem Schwesternresort Bodu Hiti die Besonderheiten der hiesigen Unterwasserwelt näher. Hinter ihrem Schreibtisch steht eine Pinnwand, auf der die "Schildkröten der Woche" fotografisch festgehalten sind, vor ihr liegen Prospekte über das Biosphärenreservat Baa Atoll.

Aufgrund seiner ökologischen Bedeutung wurden Teile des Atolls 2011 von der Unesco zum bisher einzigen Biosphärenreservat des Landes erklärt. Nur 13 der 75 Inseln des gerade einmal 9.000 Bewohner zählenden Atolls sind bewohnt, Touristeninseln gibt es nur ein halbes Dutzend. "Wer hierher kommt, der sollte wissen, in welch ökologisch sensibler Umgebung er sich befindet," umschreibt Fumagalli ihre Rolle. Jeden Mittwoch hält sie für die Besucher einen Vortrag, täglich bietet sie Schnorcheltouren an. Zum Beispiel zum Muthaafushi Riff eine halbe Stunde Bootsfahrt nördlich von Dhuni Kolhu.

Birgit Elisabeth taucht auf und wieder ab

Kaum ist man mit dem Kopf unter Wasser, taucht die erste Schildkröte auf. Mit schnellen Beinstößen rudert sie an die Oberfläche, bevor sie steil abtaucht. Wie der Adlerrochen am Tag zuvor ist auch die Schildkröte nach ein paar Sekunden verschwunden. Zu schnell, um den Fotoapparat zu zücken. Fumagalli hat sie trotzdem erkannt: "Das war Birgit Elisabeth!" In Fumagallis Kartei trägt sie die Kennzahl HK317, eine Karettschildkröte, von denen es hier zahlreiche gibt.

360 Grad Baa-Atoll
boehm

"Allein am Hausriff von Dhuni Kolhu haben wir bisher 26 Schildkröten identifiziert, ich schätze, dass es noch zehn weitere gibt." Vor rund drei Jahren rief Fumagalli ein Schildkröten-Identifikationsprogramm ins Leben, seit damals wird jede Schildkröte fotografiert (erkennbar sind sie über das individuelle Muster auf Wangen und Panzer) und in einer Kartei registriert. Neben ihren Mitarbeitern sind es vor allem Gäste, die dabei helfen. "Wir möchten wissen, wie viele Schildkröten es gibt und wie die Population zusammengesetzt ist."

Langsame Umstellung

Wissenschaftliche Daten dazu gibt es bisher keine, sicher ist nur, dass die Anzahl in der Vergangenheit stark dezimiert wurde. Schildkröteneier und -fleisch gelten bei Maledivern als Delikatesse. Seit 2005 ist der Fang verboten, langsam scheint das ins Bewusstsein der Menschen vorzudringen. "Rund 25 Resorts auf den Malediven beteiligen sich am Programm", erzählt Fumagalli. Darunter auch das Four Seasons auf der Insel Landaa Giraavaru auf der südöstlichen Ecke des Baa Atolls. "Dort gibt es vier Meeresbiologen, einer ist für Schildkröten zuständig, ein anderer für Mantarochen."

Meeresbiologin Chiara Fumagalli mit frisch geschlüpfter Schildkröte: "Die Unterwasserwelt verändert sich rapide."
Foto: Coco Collection

Genauso wie eine Tauchbasis oder ein Spa sind Meeresbiologen auf maledivischen Urlauberinseln mittlerweile fast eine Selbstverständlichkeit. "Das war vor Jahren anders." Seitdem die Unterwasserwelt durch El Niño und Tsunami Schaden genommen hat und die Erosion zu einem ernsten Problem geworden ist (weil die Riffe ihre Schutzfunktion nicht mehr erfüllen), gibt es aber ein Umdenken.

"Auf die eine oder andere Weise leben hier alle vom Ozean", sagt Fumagalli. Manche der Riffe haben sich in den letzten Jahren erholt, viele Steinkorallen sind Weichkorallen gewichen, der Artenreichtum der Fischwelt ist nach wie vor hoch. "Die gute Nachricht ist: Die Unterwasserwelt stellt sich auf die neuen Bedingungen ein, das passiert langsam, aber es passiert." Dabei kann sie jede Unterstützung brauchen, die sie kriegen kann. (Stephan Hilpold, RONDO, 26.2.2016)