Eliav Gelman ist der 33. Israeli, der seit September bei Terroranschlägen ums Leben gekommen ist. Mehr als 350 Menschen wurden seither verletzt. Der Tod des 30-jährigen Familienvaters hat in Israel für Diskussionen darüber gesorgt, wie die Sicherheitskräfte auf die Terrorwelle reagieren sollen. Denn er wurde nicht durch das Messer des Attentäters, eines palästinensischen Lehrers, getötet, sondern durch die Schüsse israelischer Soldaten, die eigentlich den Angreifer stoppen sollten.
Die Tatwaffen sind meist Messer, aber auch Autos, die absichtlich in Menschenmengen gesteuert werden. Die Täter, häufig Frauen oder junge Mädchen, sterben meist durch Schüsse herbeieilender Polizisten oder Soldaten. 172 Palästinenser kamen während oder nach ihren Attentaten oder bei Protesten ums Leben.
Kalkulierter Tod
Dass sie ihren Angriff sehr wahrscheinlich selbst nicht überleben, sei den Attentätern wohl durchaus bewusst, sagt die israelische Kriminologin und Abgeordnete Anat Berko (56). "Manche dieser Angreifer wollen sogar getötet werden, weil sie sich eine bessere Welt nach dem Tod erhoffen."
Die Kriminologin diente 25 Jahre lang in der Armee, erforschte die Psyche von Selbstmordattentätern – und sitzt seit einem Jahr für die konservative Regierungspartei Likud von Premier Benjamin Netanyahu in der Knesset, dem israelischen Parlament. Eine Sicherheitstagung der OSZE führte sie vergangene Woche nach Wien.
Dass es sich bei den Attentätern um "einsame Wölfe" handelt, die sich spontan zur Gewalt entschließen, glaubt Berko nicht. "Das ist eine sehr westliche Vorstellung. Einerseits werden viele palästinensische Kinder dazu erzogen, Israel zu hassen. Sie leben in einer sehr gewalttätigen Gesellschaft. Dann kommt die Aufstachelung dazu. Und drittens passt der Terror mit dem Messer gut zu den Videos in den sozialen Medien, die IS-Henker beim Morden zeigen."
Unterdrückung in Familien
Für ihr 2012 erschienenes Buch "The Smarter Bomb" führte Berko dutzende Interviews mit inhaftierten Palästinenserinnen, die Selbstmordattentate ausführen wollten. Dass auch in der jüngsten Terrorwelle viele Frauen zu Tätern werden, überrascht die Tochter irakischer Juden nicht. "Viele dieser Frauen kommen aus gewalttätigen Haushalten. Die Angriffe sind für sie ein Weg, der Unterdrückung in ihren Familien zu entkommen. Manche haben mir gesagt, dass sie sich im israelischen Gefängnis freier fühlen als zu Hause. Dazu kommt das Gefühl der Macht, weil sie mit ihren Taten über Leben und Tod ihrer Opfer entscheiden können."
Während in Berichten über männliche Selbstmordattentäter häufig die Verheißung von sexuell gefügigen Jungfrauen im Paradies erwähnt wird, hat Berko bei ihren Gesprächen mit weiblichen Terroristinnen eine ebenso sexuell konnotierte Motivation ausfindig gemacht. "Sie stellen sich vor, dass sie nach ihrem Tod wieder Jungfrau werden. Eine Frau sagte mir, dass sie sich vorgestellt hat, im Paradies wieder ein kleines Mädchen zu sein, das noch keine Monatsblutung hat. Jungfräulichkeit zählt für diese Frauen und diese Gesellschaft mehr als das Leben."
"Komplizierter Konflikt"
Gemeinsam sei männlichen wie weiblichen Terroristen, dass sie den Westen zwar hassen, sich gleichzeitig aber den westlichen Lebensstil für sich selbst wünschen. "Alles, was ihnen in dieser Welt verboten ist, soll im Paradies erlaubt sein. Sex, Alkohol, der Anblick des Gesichts Allahs und des Propheten Mohammed. Das ist der komplizierte Konflikt in der Psyche dieser Menschen." (flon, 5.3.2016)