Michael Kumpfmüller (55): Suche nach dem Manns-Bild.

Foto: Joachim Gern

Wien – Seine in der Tat aufreizende Passivität möchte man Georg nicht übelnehmen. Als er Julika ("Jule") auf der Universität trifft, ist er bereits Mitte 20. Man könnte meinen, Georg habe nun lange genug mit dem Erwachsenwerden gezögert. Der bevorzugte Forschungsgegenstand des angehenden Komponisten sind nicht etwa die Frauen, sondern die Streichquartette Dmitri Schostakowitschs. Es ist, mit Georgs Augen gesehen, durchaus schwer zu entscheiden, welche der beiden Materien die sprödere ist. Reizvoll sind sie auf ihre jeweilige Art natürlich beide.

Die sommersprossige, von keinem Zweifel angekränkelte Jule kommt für den freundlichen Zauderer scheinbar wie gerufen. Die Beziehung mit der Archäologin Katrin, in der Georg seit sieben Jahren feststeckt, krankt an dem betrüblichen Umstand, dass sie mit ihm partout nicht schlafen will. Die Erziehung des Mannes besteht eben auch darin, sich nötigenfalls in Verzicht zu üben. An der kulturbildenden Kraft von Mangelerscheinungen, die man in Kauf nimmt, um etwas zu haben, was man sublimieren kann, lässt Michael Kumpfmüllers neues Erzählkunstwerk nicht den geringsten Zweifel.

Kumpfmüllers neuem Helden ist es leider in keiner Weise gegeben, Trübsal zu blasen. Man könnte versuchen, sein stoisches Wesen mit einem Mangel an Empathie zu erklären. Jule wird zu Georgs Schicksal. Sie lässt es nach hastig geschlossener Ehe nicht an Versuchen fehlen, ihren Mann ohne erkennbare Eigenschaften niederzuringen, ihn moralisch zu diskreditieren.

Doch Georg nimmt das eigene Schicksal nicht weiter tragisch. Auch dann nicht, als die Widrigkeiten ihn vollends zu überwältigen drohen und er mit der Erziehung der drei gemeinsamen Kinder kaum zurande kommt. Zu diesem Zeitpunkt ist Jule nur noch ein konturloses Gegenüber, eine Feindin, über deren womöglich gute Gründe man der eigenen Seelenhygiene wegen besser nicht genauer nachdenkt.

Georgs Erzählperspektive ist die eines "Babyboomers". Es scheint, als ob die fetten Nachkriegsjahre einen Abbau an seelischer Nuancierungskunst bewirkt hätten. Der Romantitel Die Erziehung des Mannes weckt recht konkrete Erinnerungen an ein Vorgängermodell. Kumpfmüller spielt mit ihm überdeutlich auf Flauberts epochalen Entwicklungsroman Die Erziehung der Gefühle an. Dessen Held Frédéric Moreau, hineingestellt in die Wirren des 19. Jahrhunderts, gleicht dem armen Georg in einem allerdings entscheidenden Punkt. Beide Figuren eint der Hang zu einer Passivität, die sie nicht von jeder Schuld freispricht, sondern sie bis ins Innerste hinein diskreditiert.

In seinem wunderbaren Kafka-Roman Die Herrlichkeit des Lebens feierte Kumpfmüller das Glück der Liebe, behutsam ausgekostet am Rande des Abgrunds. Kafka, der begabteste Junggeselle aller Zeiten, traf darin auf Dora Diamant. Seine Schwindsucht vermochte das völlig unverhoffte Liebesglück, dem keinerlei Dauer beschieden sein konnte, nicht zu trüben.

Die Erziehung des Mannes wirkt demgegenüber wie ein Dementi. Georg, der sich allmählich einen Namen als Tonsetzer macht, findet für die Aufschwünge wie für die Abstürze seines Privatlebens keinen Begriff. Wie zur Begründung der eigenen Insuffizienz wird die Kindheit heraufbeschworen. Im aufreibenden Mittelteil seines nur zum Teil gelungenen Romans liefert Kumpfmüller das dazugehörige Schema.

Die Ehe der Eltern ist – wie könnte es anders sein? – eine vor den Kindern heftig beschwiegene Katastrophe. Georgs Wirtschaftswunderdaddy ist ein Pappkamerad. Und noch in einer anderen Sache befindet sich Georg, dieser Chronist seiner selbst, auf dem Holzweg. Die Musik Bruckners, die sein grausiger Vater so sehr liebt, sei "Tyrannenmusik, eine Mischung aus Kitsch und Terror". So borniert darf dann auch der durchschnittlichste al-ler postpatriarchalischen Männer nicht argumentieren. Georgs eigene Kompositionen möchte man gar nicht mehr hören. (Ronald Pohl, 26.2.2016)