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Droht eine wirtschaftliche Eiszeit oder bahnt sich die Weltwirtschaft den Weg durch die Schuldenprobleme? Ökonom Stelter ist skeptisch.

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STANDARD: Sie widmen den globalen Schulden ein neues Buch. Welche Schlüsse ziehen Sie?

Stelter: Wir reden zwar seit der Finanzkrise über Schuldenabbau, allerdings hat die Welt heute mehr Schulden angehäuft als 2008 – mit wenigen Ausnahmen wie Deutschland. Wichtig ist dabei die Gesamtbetrachtung von Staaten, Haushalten und Unternehmen. Schon die Krise 2008 wurde durch hohe Schulden ausgelöst. Wir haben nichts anderes gemacht, als die Krise mit noch mehr Schulden und billigem Geld zu bekämpfen. Jetzt sind wir in einer Abwärtsspirale gefangen, in der wir immer mehr billiges Geld zur Verfügung stellen müssen, um die Illusion der Bedienung der bestehenden Schulden aufrechtzuerhalten.

STANDARD: Wie kommt man aus der Spirale heraus?

Stelter: Der große Schuldenturm wackelt, und die Notenbanken versuchen, unten immer mehr Zement ins Fundament zu pumpen, um den Turm vor dem Einsturz zu bewahren. Gleichzeitig werden neue Stockwerke auf den Turm draufgesetzt. Weil wir heute tiefe Zinsen haben, werden wir morgen noch tiefere Zinsen benötigen, sonst würde alles explodieren. Daher diskutieren wir nicht nur Nullzins, sondern Negativzinsen – auch auf privaten Konten – sowie Bargeldbeschränkungen. Die dienen nur vordergründig der Kriminalitätsbekämpfung, in Wahrheit sollen sie den Negativzins leichter durchsetzbar machen.

STANDARD: Wohin führt das?

Stelter: Irgendwann wird das nicht mehr funktionieren, und dann werden drastische Maßnahmen ergriffen werden müssen, um mit den Schulden umzugehen. Eine klassische Maßnahme wäre die direkte Finanzierung von Staaten und Bürgern durch die Notenbanken. Statt die Banken mit Liquidität zu retten, könnte man genauso gut sagen: Zahlt jedem Bürger der Eurozone 10.000 Euro aus. Da kommt man dann auch auf drei Billionen Euro.

STANDARD: Und wie wirkt sich das auf die Konjunktur aus?

Stelter: Die hohen Schulden erdrücken die wirtschaftliche Aktivität, daher ist der Aufschwung seit der Lehman-Pleite so schwach. Auch China kann nach dem gewaltigen Schuldenboom nicht mehr. Ich spreche deshalb in meinem Buch von der Eiszeit.

STANDARD: Die USA schafften mit dieser Politik wieder Wachstum.

Stelter: Vordergründig stimmt das. Der entscheidende Unterschied ist, dass die Amerikaner ihre Banken konsequent saniert haben, was man in Europa verabsäumt hat. Doch die US-Wirtschaft ist auch nicht gesund. Aufgrund der neuen Rezession wird die Notenbank Fed die jüngste Kehrtwende bei den Zinsen korrigieren müssen. Der Aufschwung ist so schwach wie nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Arbeitslosenzahlen sind irreführend, denn die Erwerbsbeteiligung der Bevölkerung ist drastisch zurückgegangen. Es melden sich weniger arbeitslos, weil sie keine Hoffnung auf einen Job haben.

STANDARD: Wie sehen Sie China?

Stelter: China hat seit der Finanzkrise einen massiven Kreditboom initiiert. Die Verschuldung ist von sieben Billionen auf über 28 Billionen Dollar explodiert. Die Wirtschaft ist in der Zeit aber nur um fünf Billionen Dollar gewachsen. Wann immer so viel billiges Geld zur Verfügung steht, werden falsche Investitionen getätigt. Man baut Städte, in denen keiner wohnt, und Fabrikskapazitäten, die keiner braucht. Die Fehlinvestitionen Chinas werden auf sechs Billionen Dollar geschätzt.

STANDARD: Wie werden die Staaten auf die Entwicklung reagieren?

Stelter: Das heißt schwächeres Wachstum, häufigere Rezessionen und größere Volatilität an den Finanzmärkten. Ich rechne mit einem japanischen Szenario und damit verbunden immer drastischeren Interventionen der Politik wie eben mit Helikoptergeld. Es wird darum gehen, wer seine Währung am schnellsten schwächt. Das geht in Richtung eines Währungskriegs. Wir haben uns in den sieben Jahren seit Ausbruch der Finanzkrise mit Schmerzmitteln ein bisschen aufgeputscht, aber die Probleme nicht bereinigt, sondern nur vergrößert. Daher werden auf sieben magere Jahre sieben weitere magere Jahre folgen. In Europa wird es besonders schwierig, die Spannungen sozial durchzuhalten.

STANDARD: Mit welchen Schritten könnte die Verschuldung realistischerweise gesenkt werden?

Stelter: Ich denke, dass die Notenbanken auf ihre Forderungen verzichten werden. Das wird ernsthaft diskutiert. Auf diese Weise kann man das Staatsschuldenproblem und das Kapitalproblem der Banken lösen. Besonders Japan bereitet aus meiner Sicht diesen Schritt vor. Das würde nicht ohne Folgen bleiben. Es könnte sein, dass die Menschen wegen Schuldenannullierung und Helikoptergeld das Vertrauen in das Geld verlieren. Dann verliert es sehr schnell an Wert, und es kehrt sich die deflationäre Eiszeit in Hyperinflation um. (Andreas Schnauder, 26.2.2016)