Das Grazer Straflandesgericht ist nach wie vor schwer bewacht. Im Inneren des Gebäudes müssen Anwälte, Journalisten und Besucher durch zwei Sicherheitsschleusen. Den Saal sichern Cobra-Beamte.

APA / Erwin Scheriau

Graz – Die Geschworene im rötlichen Kleid presst ihr Taschentuch gegen die tränenden Augen. Was dieser schwarz maskierte Mann da vorn im Zeugenstuhl über erstochene Schwangere und lebendig Begrabene erzählt, ist nur schwer zu ertragen. Nicht nur ihr, dem ganzen Auditorium stockt an diesem Donnerstagvormittag im Grazer Gerichtssaal der Atem.

Der Mann ist für den "Jihadistenprozess" als Kronzeuge nach Graz gekommen und schildert – übersetzt von einer Russisch-Dolmetscherin – in gesetzten Worten seine Wahrnehmungen im Syrien-Krieg.

Der hinter ihm sitzende Tschetschene ist wegen des Verdachtes des mehrfachen Mordes in Syrien und der Mitgliedschaft bei der IS-Terrormiliz angeklagt. Der vermummte Zeuge, der in Begleitung von fünf ebenfalls maskierten Personen in Zivil in den Saal begleitet worden ist, sagt, der Angeklagte sei ihm bekannt.

Über Funk identifiziert

Warum er im Zeugenschutzprogramm sei, fragt ihn der Richter. Der IS habe ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. "Ich werde hier in Österreich sehr gut beschützt, aber ich weiß, dass ich irgendwann getötet werde", sagt er, als sei dies ohne Belang.

Im Syrien-Krieg war er Funker bei der oppositionellen Freien Armee Syriens. Er habe die IS-Leute abgehört. Den angeklagten Tschetschenen habe er persönlich nicht gekannt, ihn aber gesehen, per Fernglas beobachtet und via Funk stets identifizieren können. Und es sei vor Ort offenkundig gewesen, dass er die rechte Hand des dortigen IS-Führers gewesen sei.

Beide seien überaus "brutal" gewesen, hätten schwere Waffen und Sprengstoffgürtel getragen. Einmal habe die Gruppe um den IS-Kommandanten und den Angeklagten in einem umkämpften Ort, bevor die Freie Syrische Armee anrückte, gefangen genommene Männer mit dem Messer geköpft – um Munition zu sparen.

"Kinder aus den Bäuchen genommen"

Der Kronzeuge erinnert sich: "An einem Felsenplatz haben wir drei schwangere Frauen gesehen ... sie haben ihnen die Bäuche aufgeschlitzt, die Kinder lagen daneben. Sie haben die Kinder einfach aus den Bäuchen genommen." Er habe nur eine Frau näher anschauen können, "dann ist mir übel geworden".

An anderen Schauplätzen hätten sie enthauptete Männer entdeckt, die in einen Brunnen geworfen worden seien – und Männer, die bei lebendigem Leibe eingegraben waren.

"War der Angeklagte bei den Massakern dabei?", fragt der Richter. Er habe ihn nicht direkt bei den Tötungen beobachtet, er sei aber stets an der Seite des IS-Kommandeurs gewesen. "Was sagen Sie, Herr Angeklagter, zu den Aussagen des Zeugen?", fragt der Richter. "Keine Ahnung, was da vorgegangen ist. Er hat doch nur Angst, dass auch er verhaftet wird, deshalb hat er alles erfunden", antwortet der Angeklagte.

Moschee im zweiten Bezirk

"Wissen Sie, wie die Syrien-Kämpfer in Österreich rekrutiert werden?", fragt der Richter den Kronzeugen. "Ja, früher lief das über die Moscheen, zum Beispiel im zweiten Bezirk in Wien. Dort hat der Imam das auch finanziert, das wurde aber geheim gehalten."

Schließlich nimmt noch ein älterer Herr mit Anzug und Aktentasche im Zeugenstuhl Platz. Sein Sohn wurde in Wiener Moscheen radikalisiert, die Staatsanwaltschaft glaubt, vom angeklagten Prediger. Der Sohn ist in Syrien verschollen. Der Mann bittet zum Schluss seiner Vernehmung, dem Gericht noch eine Frage stellen zu dürfen: "Wissen Sie vielleicht, ob mein Sohn noch lebt?" Betreten schütteln Staatsanwalt und Richter die Köpfe. Der Mann beginnt bitterlich zu weinen. (Walter Müller, 25.2.2016)