Der Bariton dröhnt durch die Kirche, als wäre dies ein Rockfestival und er der Ansager. "Sie hat immer ihre Pflicht erfüllt!", stellt Ricky Ray Ezell, Pastor der Central Baptist Church in Columbia, die Kandidatin vor. Ob als First Lady, als Senatorin oder als Außenministerin: Stets habe Hillary Clinton ihren Job gut gemacht; eisern diszipliniert, ohne sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. "Sie hat ihrem Land früher gedient, sie dient ihm heute, sie wird ihm in Zukunft dienen."

Dann tritt Hillary Rodham Clinton in blauer Kostümjacke ans Pult und erzählt Geschichten aus den 1970er-Jahren. Sie handeln von einem klapprigen Auto, in dem sie durch die Südstaaten rumpelte, um mit jungen Häftlingen zu sprechen, die meisten schwarz, einige erst 14 Jahre alt.

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Hillary gibt gerne den Kontrapunkt zum egomanischen Donald Trump. Die Aufmerksamkeit der Medien ist beiden sicher.
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Es war ihr erster Job nach dem Studium an den Eliteuniversitäten Wellesley und Yale. Der Children's Defense Fund, eine Initiative für benachteiligte Kinder, hatte sie nach South Carolina geschickt, um herauszufinden, wie oft sich Minderjährige denselben Gefängnistrakt mit erwachsenen Straftätern teilen mussten.

In der Schrottkiste, in der sie von Gefängnis zu Gefängnis fuhr, musste sie am Schaltknüppel rütteln, um die Gänge einzulegen, erzählt Clinton belustigt. Manchmal habe es bedenklich gekracht. Im heutigen Amerika klingt es nach ferner Vergangenheit. Über die Gesichter der Älteren huscht ein wissendes Schmunzeln, während die Jüngeren fragende Blicke austauschen. Clinton – das Urgestein.

Kontrast zu Trump

Keine zehn Minuten redet sie, dann überlässt sie die Bühne trauernden Müttern, als wollte sie den Worten von Reverend Ezell Nachdruck verleihen. Als wollte sie demonstrieren, dass sie nicht ständig im Rampenlicht stehen muss; anders als das Kontrastprogramm bei den Republikanern, anders als beim Egomanen Donald Trump.

Dann haben afroamerikanische Frauen das Wort, deren Söhne von Polizisten – und in einem Fall von einem privaten Nachbarschaftswächter – getötet wurden. Unter der Palmenflagge South Carolinas sitzen sie in einem Halbkreis um die Kandidatin. Mehrfach fällt das Wort "Sisterhood" – es soll beschreiben, dass sie sich als Schwestern im Leid verstehen, und es bezieht die Politikerin ausdrücklich ein.

"Es gab eine Zeit, da hat mir von den Kandidaten kein Einziger zugehört. Niemand bis auf Hillary Clinton", sagt Sybrina Fulton, deren Sohn Trayvon Martin 2012 in Florida von dem weißen Wachmann George Zimmerman erschossen wurde.

Als Clintons Stab anrief, habe sie sich gefragt, wo der Haken sei, ob man sie vor irgendeinen Karren spannen wolle, erzählt Gwen Carr, die Mutter von Eric Garner, der in Staten Island Zigaretten verkaufte und im Würgegriff eines Polizisten starb, obwohl er verzweifelt geschrien hatte, dass er keine Luft mehr bekomme. "Nein, es gab keinen Haken: Diese Frau hat einfach nur aufrichtig Anteil genommen."

Natürlich ist er perfekt inszeniert, der Auftritt in der Baptistenkirche, der weniger an Wahlkampf denken lässt und mehr an einen therapeutischen Stuhlkreis samt Publikum.

Betonte Bescheidenheit

Clintons Kampagne soll ein Triumph der Bescheidenheit sein. In Columbia präsentiert sich die 68-Jährige als eiserne Kämpferin, die bereits für die Schwachen in die Schlacht zog, als ihr innerparteilicher Rivale Bernie Sanders in den Bergen Vermonts noch seine Hippieträume auslebte. Hillary, die große Schwester.

Neulich, in Las Vegas, nahm sie die zehnjährige Karla Ortiz in den Arm, nachdem diese unter Tränen von ihren illegal eingewanderten Eltern erzählt hatte und von der Angst, dass die Regierung sie nach Mexiko abschieben könnte. Sie werde tun, was sie könne, versprach Clinton. "Lass es mich übernehmen, sich Sorgen zu machen. Ist das ein Deal?"

In der Central Baptist Church zelebriert ihre Regie nebenbei auch eine Versöhnungsfeier: Die allermeisten Afroamerikaner hatten 2008 beim Wettstreit der Demokraten für Barack Obama gestimmt. Kaum einer wollte sich die historische Chance entgehen lassen, erstmals einem Bewerber mit dunkler Hautfarbe den Weg ins Oval Office zu ebnen. Clinton hatte das Nachsehen, nun aber ist sie an der Reihe – zumal ihr Rivale kein zweiter Obama ist, sondern ein 74 Jahre alter Senator aus dem fernen New England.

"Ich mag Bernie, mir gefällt, was er sagt. Aber bevor er antrat, hatte ich noch nie von ihm gehört", sagt Curtis Watson, ein Lehrer aus Columbia. Die Marke Sanders: Durch Watsons Brille gesehen steht sie für Idealismus und Risiko. Die Marke Clinton aber für Realismus und Langlebigkeit. Sie ist eine der wenigen Konstanten in einem Klima akuter Verunsicherung. Eine alte Bekannte eben.

Kein Wagnis eingehen

Keine Experimente: Vielleicht macht gerade das den Charme einer Politikerin aus, die versucht, die politische Mitte zu besetzen. In gewisser Weise ist Clinton eine amerikanische Angela Merkel, jedenfalls jene, wie man sie bis zur Flüchtlingskrise erlebte: der Inbegriff der Vorsicht.

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Im Wahlkampf, 1992. Trotz Affäre bleibt sie.
Foto: EPA

Als sie aus dem Schatten ihres Ehemanns Bill trat, um für den Senat zu kandidieren, begann sie mit einer "listening tour" durch New York. Sie hörte zu, fragte die Leute, wo der Schuh drückt, hielt sich selber bedeckt. Ihre Reden richtete sie ganz danach aus, bloß nicht anzuecken. "Sie sagte den Wählern im Wesentlichen nur, was sie hören wollten", schreibt Carl Bernstein, der mit Bob Woodward den Watergate-Skandal ans Licht brachte, in einer Hillary-Clinton-Biografie. Ihr Motto sei gewesen, ja kein Wagnis einzugehen.

Das war nicht immer so: 1993, da zog sie an der Seite Bills ins Weiße Haus, beanspruchte sie eine Rolle, die in den Augen vieler auf eine Ko-Präsidentschaft hinauslief. Seit Eleanor Roosevelt war keine First Lady derart aktiv gewesen. Nie zuvor hatte sich eine Präsidentengattin ein eigenes Büro im West Wing, im Machzentrum, einrichten lassen. Clinton war die Erste. Und sie übernahm den Vorsitz einer Taskforce, die eine Gesundheitsreform entwerfen sollte; weitreichender als das, was Obama zwei Jahrzehnte später durchs Parlament brachte.

In die zweite Reihe

Sie scheiterte, weil sie die nötige Kompromissbereitschaft vermissen ließ und die Spielchen der Washingtoner Politik nicht mitspielen wollte. Nachdem die Demokraten bei der Kongresswahl 1994 eine Schlappe einstecken mussten, gab sie zu verstehen, sie werde sich nunmehr mit einem Platz auf dem Rücksitz begnügen.

Sie werde alles tun, "was mein Ehemann von mir verlangt, wenn er denkt, dass es ihm helfen kann"; selbst wenn es nur darum gehe, Karten zu spielen oder ihm beim lauten Nachdenken zuzuhören. Wie Bernstein notierte, war es ein Kniefall vor ihren Kritikern – im Grunde eine Demütigung. Bill, dem Meister des Kompromisses, gelang ein glänzendes Comeback.

Hillary reiste um die Welt und hielt 1995 auf einer UN-Konferenz in Peking die wohl beste Rede ihrer Karriere: "Menschenrechte sind Frauenrechte, und Frauenrechte sind Menschenrechte!" Im eigenen Land war sie die zurechtgestutzte First Lady, die nur noch von der Seitenlinie des politischen Spielfelds zuschauen durfte. Es sind diese Jahre, die ihre spätere Vorsicht erklären.

Energisch verteidigte sie ihren offenbar sexsüchtigen Mann in all seinen Eskapaden – auch 1998 im Trubel um die Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky. Vertraute erzählen, selbst da habe sie nie eine Trennung erwogen. "Sie war stinksauer. Sie hätte mit der Bratpfanne auf ihn eingeschlagen, hätte man ihr eine gegeben. Aber ich glaube nicht, dass sie sich jemals vorstellen konnte, ihn zu verlassen", erinnert sich ihre ehemalige Assistentin Susan Thomases.

Schwere Bürde

Clinton schleppe zu viel Gepäck mit sich herum, ist ein Satz, den man von skeptischen Amerikanern oft hört. Das schwerste Gepäckstück ist wohl ein Votum im Oktober 2002, mit dem George W. Bush von 77 der 100 US-Senatoren ermächtigt wurde, im Konflikt mit dem Irak bewaffnete Gewalt anzuwenden – und auch Clinton stimmte dafür.

Sie habe geglaubt, sagt sie, Bush ein Druckmittel zu geben, um die Rückkehr der ausgewiesenen Waffeninspektoren zu erzwingen. Dass er so schnell den Angriffsbefehl geben würde, ohne geduldig den Weg über die Uno zu gehen, habe sie nicht erwartet. Das wurde 2008 ein wichtiger Faktor, der sie das Duell gegen Obama verlieren ließ. 2016 belastet es sie erneut im Rennen gegen Sanders, der betont, dass der früheren Außenministerin all ihre Erfahrung nichts nütze, wenn sie im entscheidenden Moment ein gesundes Urteilsvermögen vermissen lasse.

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Nach verlorener Vorwahl: Clinton tritt für Obama ein.
Foto: AP / Jae C. Hong

Die zweite schwere Bürde ist ihre Nähe zur Wall Street. Während Bills Präsidentschaft wurden viele jener Regellockerungen im Bankensektor beschlossen, die später zur Finanzkrise beitrugen. Als New Yorker Senatorin agierte auch Hillary in aller Regel im Sinne der Geldbranche, und als sie später fürstlich bezahlte Reden zu halten begann, kassierte sie allein von Goldman Sachs 675.000 Dollar. Es ist ein Kapitel, das sich nicht schönreden lässt – schon gar nicht im Wortduell mit Sanders, der die Exzesse der Wall Street zu seinem zentralen Thema macht.

Da wirkt es wahrscheinlich wie Seelenbalsam, was Sybrina Fulton zum Schluss in Columbia sagt: "Diese Frau ist aufgestanden, als sich kein anderer Politiker um uns kümmerte. Wenn sie gegen all diese Männer aufsteht, dann schafft sie es auch bis ins Ziel. Meine Stimme gehört Hillary." (Frank Herrmann, 27.2.2016)