Bei einem blauen Auge wird es nicht bleiben: Jennifer Jason Leigh hat als Daisy Domergue in "The Hateful Eight" einiges einzustecken – sie teilt aber auch aus.

Foto: Constantin

Trailer.

The Weinstein Company

STANDARD: Gratulation zu Ihrer ersten Oscar-Nominierung. Sie haben sich das mit dem Part wirklich verdient.

Leigh: Danke, es ist so schön, nominiert zu sein! Vor allem, weil es für einen Film ist, den ich wirklich liebe. Quentin ist ein außergewöhnlicher Filmemacher. Der Cast war unglaublich – ich teile die Nominierung mit ihnen allen.

STANDARD: Sie werden die Gala also nicht boykottieren?

Leigh: Oh nein, das werde ich nicht tun. Ich boykottiere nichts, aber ich finde, dass die Debatte um die Diversität gut war. Es ist wichtig, dass man darüber redet.

STANDARD: War das auch einer der Gründe, warum Sie der Film interessiert hat? Es geht ja auch um Rassenfragen.

Leigh: Das stimmt, aber ich schätze das Buch wie alles andere, was Quentin geschrieben hat. Ich habe schon immer mit ihm arbeiten wollen, und die Rolle Daisys ist so etwas wie die Rolle eines Lebens.

STANDARD: Dass Ihre Figur die meiste Zeit an Kurt Russell gefesselt ist, hat Sie gar nicht gestört?

Leigh: Die Handfesseln haben mich weniger beeinträchtigt als das Wetter, die Umgebung und die anderen Schauspieler. Ich liebe Rollen, in denen ich nicht viel zu sprechen habe. Ich schätze Einschränkungen überhaupt sehr – in Anomalisa musste ich nur mit meiner Stimme spielen. Einschränkungen stellen so etwas wie einen stillen Brennpunkt her. Ein Regisseur wie Tarantino erkennt ganz genau, was du tust. Und er ist so enthusiastisch, dass er dich wieder daran erinnert, wie sehr es Spiel und Spaß sein sollte, das alles zu tun.

STANDARD: Fand eigentlich ein richtiges Casting statt – oder ruft Quentin an und quatscht einen nieder?

Leigh: Es gibt Rollen, die er sehr spezifisch für bestimmte Schauspieler schreibt. Bei Daisy war er offener und hat an eine Handvoll Schauspielerinnen gedacht – ich war eine davon. Ich hab es also für ihn gelesen, und er dachte, ich sei die Richtige. Als ich das Script vom Casting-Chef bekam, fehlte allerdings das letzte Kapitel des Films. Absichtlich.

STANDARD: Wie haben Sie dann die makabre Schlussszene nach der ersten Lektüre gefunden?

Leigh: Es war ein wenig beängstigend. Aber mehr deshalb, weil Daisy plötzlich so viel spricht. Als Quentin mit mir dann die Szene las, setzte er sich jedoch nicht mir gegenüber hin, sondern neben mich – man liest aus demselben Script. Das nimmt dir viel vom Lampenfieber, denn er ist mit dir da drin, man spielt mit ihm, weil er alle anderen Rollen spricht. Als ich fertig war, rief ich meine Mutter an, die sehr aufgeregt darüber war, dass ich die Audition hatte. Sie fragte, wie es gelaufen sei. Und ich sagte: Ich weiß nicht genau, aber ich hatte die beste Zeit meines Lebens!

STANDARD: Es gibt auch Leute, die die Figur der Daisy frauenfeindlich finden – hat Sie das eigentlich überrascht?

Leigh: Ja, denn ich denke überhaupt nicht so. Genau das Gegenteil ist der Fall, weil Daisy als Frau nicht anders behandelt wird! Sie wird nicht sexualisiert, und ganz viele andere Filme würden eine solche Rolle sexualisieren.

STANDARD: Sie bekommt aber ein paar gescheite Watschen ab.

STANDARD: Ja, stimmt schon. Aber ich würde mir mehr um Walter Goggins Sorgen machen, der Mannix spielt. Er hat die feinfühligere Rolle als ich.

STANDARD: Tarantino meinte, Sie hätten ihn mit einem speziellen Einfall überzeugt.

Leigh: Es ging um die Szene, als Daisy angeschossen wird: Ich habe einfach laut aufgeschrien! Man hat beim Vorsprechen ja nichts zu verlieren – außer natürlich der Rolle. Ich dachte also, wie würde sich ein Schuss anfühlen? Es müsste einfach richtig schmerzen. Es mag peinlich sein zu schreien – doch seiner Natur zu folgen, das ist eben oft unangenehm. Viele würden sich daran vorbeischarwenzeln, weil man sich eben auch verwundbar macht.

STANDARD: Dabei gelten Sie als scheu. Warum sind Sie dann Schauspielerin geworden – scheint man dafür nicht besonders extravertiert sein zu müssen?

Leigh: Das scheint eben nur so zu sein ... (lacht) Wenn man spielt, verwendet man doch die Worte von jemand anderem. Man taucht in die Person eines anderen ein, und alles, was einen selbst betrifft, kann man auf diese Weise versteckt halten. Ich kann zwar mit dieser anderen Person über all die Dinge kommunizieren, die mich selbst betreffen – aber nur ich weiß davon, niemand sonst. Die Zuschauer können das nicht unterscheiden. Das heißt, es gibt für introvertierte Personen Freiheiten beim Schauspielen wie in wenigen anderen Berufen. (Dominik Kamalzadeh, 27.2.2016)