Sollen andere verscheuchen: Schiachperchten.

Foto: apa/Gindl

Es ist ein ewiges Gwirkst um schön und schiach. So heulen sich dürre Austria's oder Germany's Next Topmodels von Folge zu Folge, und wem sein Spiegelbild zu einem unüberwindlichen Problem wird, der erwägt cosmetic surgery: Pimp up my face, doc! Wer glaubt da noch daran, dass Schönheit im Auge des Betrachters1 liegt?

Das Adjektiv schön (mittelhochdeutsch schœne, althochdeutsch scōni) verzeichnet im Mittelhochdeutschen neben "schön, herrlich, tauglich" auch die Teilbedeutungen "glänzend, hell, weiß" als optisch-farblichen Eindruck. Später vollzieht sich die Verschiebung von "schön gefärbt" zu "wohlgestalt".

Das Adverb hat im Mittelhochdeutschen im Gegensatz zum Adjektiv keinen i-Umlaut2. Es lautet schȏne (aus althochdeutsch scōno) und bedeutet "auf schöne, geziemende, anständige, freundliche Art und Weise".

Nehmen wir also an, ein fescher Ritter und obendrein ein trefflicher Recke sucht eine Nächtigungsgelegenheit. Er findet eine Burg, und wenn er dann schon(e) durch das Burgtor sprengt, so reitet er im ursprünglichen Wortsinn "auf schöne und geziemende Weise" ein. Irgendwann ist dann neuhochdeutsch schon gänzlich von der modalen Sphäre (auf welche Weise?) in die temporale (früher als erwartet) übergetreten.

Neuenglisch beautiful ist eine Ableitung vom Nomen beauty, das über altfranzösisch biauté (aus lat. bellitatem; lat. bellus "hübsch, nett, artig", vgl. ital. bello, bellissimo) im 14. Jahrhundert ins Mittelenglische kommt.

Unser dialektales Adjektiv "schiach" müsste, wenn es standardsprachlich noch existierte, "schiech" geschrieben werden, denn die Trias ie / eu / u (beziehungsweise mit Umlaut: ü) in schiech / (ver)scheuchen / schüchtern steht im selben Ablautverhältnis wie siech / Seuche / Sucht / süchtig und biegen / beugen / Bug / bügeln.

Im Mittelhochdeutschen bedeutet schiech "scheu, verzagt; abschreckend und Angst machend", das heißt, beide Bedeutungsaspekte sind vorhanden:

1) Jemand, der sich abschrecken, verscheuchen (mittelhochdeutsch schiuhen) und ängstigen lässt, den geht der Schiach an, der wird letztlich scheu (neuenglisch shy aus altenglisch sceoh "furchtsam") und schüchtern.

2) Jemand, der schiach ist (wie die Schiachperchten), verscheucht und schreckt andere ab.

Der mittelalterliche Vorfahr unseres Adjektivs "schiach" war aber ganz und gar nicht schüchtern und ließ sich keineswegs von fremdsprachigen Völkern verscheuchen. Ganz im Gegenteil, das Wörtchen drängte sich in zwei Nachfolgesprachen des Lateinischen hinein und ist heute noch in italienisch schivare (italienisch schivo "scheu") und französisch esquiver "sich scheuen, vermeiden" als germanisches Lehnwort lebendig. Und so kommt es, dass neuenglisch eschew auf Umwegen übers Anglonormannische wieder ins Englische zurückwandert.

Wie heißt es so schön in Shakespeares "Merry Wives of Windsor":

What cannot be eschew'd must be embraced.

Was du nicht kannst vermeiden, musst du geduldig leiden. (Sonja Winkler, 29.2.2016)