Zwei ÖVP-Minister haben Österreich und die EU innerhalb weniger Tage in eine bedrohliche Schieflage gebracht. Das ist das Ergebnis der Politik des neuen Tons von Außenminister Sebastian Kurz und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Mit ihrer Blockade der Flüchtlingsroute durch den Balkan haben sie Österreichs Diplomatie des Ausgleichs über den Haufen geworfen. EU-Gipfelbeschlüsse sind für Ressortminister nicht mehr bindend – das sieht man nun. Einen EU-Partner wie Griechenland kann man als Trottel behandeln. Auch das geht jetzt.

Wenn Griechenland bis zum nächsten EU-Gipfel in einer Woche nichts zustande bringt bei der Eindämmung der Flüchtlingswelle, wird es "härtere Maßnahmen" geben, drohte Mikl-Leitner doch der Regierung in Athen. "Dann müssen andere das Heft in die Hand nehmen." Zum Beispiel das Ministerium in der Wiener Herrengasse.

Kühle Arroganz weht den Griechen aus dem benachbarten Außenministerium ins Gesicht. Die Rückberufung der griechischen Botschafterin aus Wien schüttelte Sebastian Kurz schnell ab. Österreich könne "die Anspannung" in Griechenland nachvollziehen, jetzt, wo die Griechen gefordert sind, hieß es spöttisch.

Wo werden Kurz und Mikl-Leitner mit ihrer Zuchtmeisterpolitik punkten? Mag sein in Mehrzweckhallen hinter dem Rednerpult – in Brüssel und Berlin jedenfalls nicht.

Die griechische Regierung lässt sich diesen Umgang nicht gefallen. Weder ist sie in der Lage, täglich 2000 bis 3000 neue Flüchtlinge zu "reduzieren", wie es Wien wünscht, sprich: in einem schwarzen Zylinder verschwinden zu lassen; noch wird die Führung in Athen hinnehmen, dass Griechenland jetzt zum neuen großen Auffanglager für die Flüchtlinge wird, einem zweiten Libanon.

Dass die Innenministerin dachte, sie könne in dieser Atmosphäre schnell einmal nach Athen fliegen und den Griechen erklären, was sie offenbar bisher nicht kapieren wollten, sagt mehr über die Weltwahrnehmung in Wien als über planvolle Politik.

Im Verein mit den Ländern des Westbalkans hat Österreich lediglich eine Auszeitkonstruktion in der Flüchtlingskrise geschaffen. Es ist schwieriger geworden für Kriegs- und Wirtschaftsflüchtlinge, weiter nach Europa zu kommen, aber nicht unmöglich. Neue Routen lassen sich finden, es ist nur eine Frage des Geldes. Europas Flüchtlingskrise bleibt.

Die Wahrheit ist schlicht, der Rest nur politische Dichtung: Nicht Griechenland ist schuld am Flüchtlingsstrom – die Türkei nimmt keine Flüchtlinge zurück. Sie erfüllt nicht das bilaterale Rücknahmeabkommen, das sie mit Athen abgeschlossen hatte. Sie hält nur fallweise Flüchtlinge von der Überfahrt auf die griechischen Inseln ab. Sie wird auch nach Inkrafttreten des Rücknahmeabkommens mit der EU in diesem Jahr syrische Kriegsflüchtlinge aus der Union nicht zurücknehmen müssen.

Was dann also? Die EU-Mitgliedsländer, auch Österreich und erst recht die Osteuropäer, könnten schon einmal die Quotenregelung zur Verteilung von Flüchtlingen umsetzen, die sie eigentlich beschlossen hatten. Und wenn keine solide Vereinbarung mit der Türkei zu finden ist, wird die EU wohl selbst einen Teil der abgewiesenen Flüchtlinge eben über die Türkei hinaus in ihre Länder zurückbringen müssen. Dann wird sie in der Tat "das Heft in die Hand" nehmen.

(Markus Bernath, 27.2.2016)