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Foto: Reuters/Foeger

Politikwissenschafter und Ökonomen lieben magische Drei- und Vierecke – Beschreibungen einer Realität, in denen es mehrere Ziele gibt, die sich gegenseitig ausschließen. Die Botschaft solcher Modelle an die Regierenden ist: Ihr habt zwar verschiedene Optionen, aber ihr müsst euch entscheiden. Alles geht nicht – und wer das ignoriert, riskiert noch viel größere Probleme.

Ein solches magisches Viereck – oder Quadrilemma – bietet sich bei der Analyse der Flüchtlingskrise an. Die vier Punkte sind der massive Andrang von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten und anderen Krisenstaaten; die strikten Auflagen des Völkerrechts und des EU-Asylrechts; die Schwierigkeiten, abgewiesene Asylwerber wieder außer Landes zu bringen; und schließlich der Widerstand in der eigenen Bevölkerung gegen eine unkontrollierte Zuwanderung.

Wird auch nur eine dieser drei Problemzonen bewältigt, lässt sich die Flüchtlingssituation in Mitteleuropa in den Griff bekommen. Aber welche?

Krise an der Wurzel lösen

Immer wieder wird gesagt, dass die Krise an ihrer Wurzel gelöst werden muss – bei den Ursachen für den Migrationsstrom. Wenn Frieden in Syrien geschaffen werden könnte oder der Irak und Afghanistan stabile Regierungen erhalten würden, dann würden die Flüchtlingszahlen rasch sinken. Man müsste aber auch die wirtschaftlichen Bedingungen in Afrika deutlich verbessern – etwa durch höhere Entwicklungshilfe, heißt es.

Die Erfordernisse der Genfer Flüchtlingskonvention und der EU-Asylrechtrichtlinien werden von vielen Juristen und Menschenrechtsaktivisten ganz strikt ausgelegt. Demnach muss Österreich jedem Fremden, der Asyl für sich reklamiert, anhören und ein rechtsstaatliches Verfahren garantieren. Das geht nur, wenn man die Person aufnimmt und bis zum Abschluss des Verfahrens menschenwürdig versorgt.

Rückführung abgewiesener Asylwerber

Wer aber kein Asyl erhält, sollte dieser Logik nach rasch wieder das Land verlassen, entweder freiwillig oder durch eine behördliche Rückführung.

Und nur wenn dieser Prozess funktioniert, also tatsächlich nur jene Menschen dann im Land bleiben, die nach dem Asylrecht und im Verständnis der Menschen schutzwürdig sind, kann man viel eher damit rechnen, dass eine solche menschenrechtskonforme Politik auch von der Bevölkerung akzeptiert wird. Wenn nicht, wird sie ihr Missfallen an der Wahlurne kundtun.

Ein fünfter Punkt könnte die europäische Lösung sein, doch selbst wenn diese zustande käme, etwa durch eine gerechtere Aufteilung von Asylwerbern unter den EU-Staaten, wären die Beschränkungen des magischen Vierecks weiterhin gültig. Man würde höchstens etwas Zeit gewinnen.

Der Flüchtlingsstrom wird von selbst nicht stoppen

Aber wie sieht die Realität aus?

Die Chancen auf Frieden in Syrien und ein Ende der Gewalt in den anderen Staaten ist ebenso gering wie eine rasche Lösung der Wirtschaftsprobleme Afrikas. Jedenfalls ist beides außerhalb der Kontrolle nationaler oder europäischer Politik. Der Andrang von Flüchtlingen wird daher in absehbarer Zeit nicht von selbst sinken.

Ein Großteil der abgewiesenen Asylwerber kann nicht außer Landes gebracht werden, und dies wird sich auch durch vollmundige Ankündigungen von Massenabschiebungen mit Herkules-Maschinen nicht ändern. Die meisten Länder nehmen ihre Staatsbürger nicht zurück, weil entweder ein Abkommen fehlt (Pakistan, Marokko) oder weil es nicht umgesetzt wird (Türkei). Viele abgelehnte Asylwerber tauchen unter, bevor sie abgeschoben werden können.

Proteste gegen Massenabschiebungen

Und wie Sieglinde Rosenberger und Florian Trauner in einem Gastkommentar zeigen, sind Massenabschiebungen, wie sie etwa Schweden und Österreich planen, auch menschenrechtlich schwierig. Bilder von sich wehrenden Menschen, die mit Gewalt außer Landes gebracht werden, werden wiederum neue Proteste hervorrufen. Und wer lange genug in Österreich war, wird Unterstützer haben, die die Abschiebung verhindern wollen. Bei wirklich großen Zahlen drohen dann Ausschreitungen.

Und bei der öffentlichen Meinung sind Regierungen vor allem Getriebene. Wenn die Bürger einen ungebremsten Zustrom von berechtigten und undberechtigten Asylwerbern nicht akzeptieren, dann lassen sie sich weder überzeugen noch ignorieren. Sie werden sich dagegen mit demokratischen Mitteln wehren. Dann werden bald in Österreich die Straches, in Frankreich die Le Pens und in Deutschland die AfD regieren, die sich um Menschenrechte überhaupt nicht scheren.

Asylrecht muss angepasst werden

Von den vier Punkten haben Regierungen nur bei einem die Macht zu handeln – bei der Auslegung und Umsetzung des Asylrechts. Dieses ist bei weitem nicht so unbeugsam, wie es manche Juristen behaupten, sondern kann natürlich von demokratisch gewählten Organen an veränderte Gegebenheiten angepasst werden. Und Schweden, Österreich und bald auch Deutschland tun genau das, indem sie Obergrenzen einführen und nationale Grenzen schließen.

Wer das bedauert, muss realistische Alternativen zu einem solchen Kurs aufzeigen. Im magischen Viereck offenbaren sich solche allerdings nicht.

Man würde sich wünschen, dass die Bundesregierung diplomatischer und geschickter vorgeht, als sie es jetzt tut. Aber die Dinge einfach laufen zu lassen und die Folgen zu ignorieren, könnte uns alle in eine politische Katastrophe führen, die allzu gut in Barbara Tuchmans berühmtes Buch "The March of Folly" ("Die Torheit der Regierenden") passen würde. (Eric Frey, 28.2.2016)