Stark wie ein Felsen gegen die aus den Fugen geratende Welt: Howard Carpendale in der Wiener Stadthalle.

Foto: Christian Fischer

Wien – Howard Carpendale ist 70 Jahre alt geworden und stellt sich nur noch die großen Fragen. Keine Zeit mehr für Pipifax. Natürlich könnte er sich auf das Großvaterfach verlegen und von jenen Kriegen erzählen, die so gut wie alle in die Wiener Stadthalle Gekommenen wegen Wirtschaftswunder, Kreisky-Jahren und gesicherter Pensionsvorsorge mit Anrecht auf Häuslbauen und Zweitauto gar nie führen mussten. Gegen Ende eines 50-jährigen Bühnenlebens geht es Howard Carpendale aber um das Wesentliche: "Was wären wir ohne die Liebe?" Howards selbstgegebene Antwort sagt uns Jüngeren im Saal etwas: "Vermutlisch arbeitslos."

Tüpfelchen auf dem i

Howard Carpendale kommt aus Südafrika und hat sich seinen nuschelnden Akzent über all die Jahrzehnte sorgsam bewahrt. Er ist das Tüpfelchen auf dem i in einem musikalischen Universum, in dem das Fernweh immer für Glück, bessere Zeiten, jedenfalls für den Ausbruch aus dem Ist-Zustand steht.

Udo Jürgens war diesbezüglich der im Feldherrenton vortragen-de Intellektuelle des deutschen Schlagers (Ich war noch niemals in New York), Christian Anders dessen gefühliger Seelsorger (Es geht ein Zug nach Nirgendwo). Bankberater Roland Kaiser berät die Kundschaft bei Investitionen in Sachen Helene Fischer und Malen nach Zahlen. Rex Gildo ist tot. Roy Black auch. Roberto Blanco unten im Partykeller der Alten-WG droht eine Ruhestörungsklage wegen Krawallmusik. Über den Verbleib von Jürgen Marcus, Bata Illic, Chris Roberts oder Bernd Clüver, dem Jungen mit der Mundharmonika, ist nichts Näheres bekannt.

Auf ihn ist Verlass

Howard Carpendale ist da anders. Er ist schlicht und einfach noch immer da. Auf ihn ist Verlass. Bei den Kollegen aus der goldenen Zeit des Schlagers herrschte oft künstliche Aufregung, Gockeltum mit Brusttoupet, Promiskuität und abgefeimter Hundeblick speziell für die weibliche Zielgruppe. Es war eine gewisse Grundaufgeregtheit zu verzeichnen. Howard Carpendale steht da mit seinem minimalistisch Richtung Denkmal tendierenden Vortragsstil stark wie ein Felsen für ein kleines bisschen Sicherheit in einer aus den Fugen geratenden Welt. Er ist der Schulterpolster, an dem man sich ausheulen kann.

Selbst wenn er heute in Wien seine zivilisationskritische Major-Tom-Variation Astronaut aus dem Jahr 1996 singt und uns dabei aufgrund der Schlechtigkeit der Welt eine tiefe Traurigkeit (ummantelt von flauschigen moll-Akkorden) erfasst, wissen wir eines. Dieser Mann wird trotz aller Irrnisse und Wirrnisse das Kind schaukeln und die Raumkapsel sicher nach Hause bringen. Sie hat Servolenkung. Im CD-Player liegt eine Scheibe mit Midtempo-Balladen von Bon Jovi und den gediegensten Saxofonsoli aus dem Spätwerk Tina Turners. Langsam, mein Freund. Alles easy. Kein Problem. Wird schon. Muss ja.

Durch die Decke gehen

Howard Carpendale geht jetzt mal zum Händeschütteln, Selfiemachen, Wunderheilen und Plaudern runter zu den Leuten: "Warum kommst du nicht nach Vorarlberg?" – "War isch jemals da?!"

Mit solider Muckerband geht der Saal anschließend bei alten Hits wie Deine Spuren im Sand, Tür an Tür mit Alice, Dann geh doch und Nachts wenn alles schläft durch die Decke. Verhältnismäßig. Man will sich beim Paschen nicht das Kreuz verreißen.

Das gute, nein, großartige Gefühl, mit dem man dieses Konzert verlässt, hält weit hinein in eine weitere harte Woche an. Es war großartig. So großartig wie Howard Carpendales Schlussmoderation: "Wenn wir heute Nacht mit dem Bus weiterfahren, werd' isch an die schönen Momente hier denken, wenn isch die Augen schließe. Isch darf die Augen schließen. Isch fahre ja nischt selbst." (Christian Schachinger, 28.2.2016)