St. Pölten – Der gnadenlose Heuchler Tartuffe schleust sich in Molières gleichnamiger Komödie in die Familie des Orgon ein, um diese nach Strich und Faden auszunehmen. Er prahlt mit seinen hochtrabenden Moralvorstellungen, ja flennt sogar über das erloschene Leben eines Flohs!
Alle durchschauen die Arglist dieser Gutmensch-Show, nur Orgon (leidenschaftlich blindwütig: Tobias Voigt), Hausherr und offenbar ein Mann mit masochistischem Begehr, labt sich an den selbstgeißelnden Szenen seines Hausgastes. In quasierotischer Zuneigung presst Orgon Leib und Lippen an die Tür, hinter der Tartuffe Wohnung bezogen hat. Auch Orgons Mutter (Julia von Sell) ist begierig nach Demutslektionen – kann sein, die Dynastie hat eine Sadomaso-Prägung.
Glanz der Perfidie
Alles ist auf der strahlend unschuldsweißen Bühne des Landestheaters Niederösterreich (Ildikó Tihanyi), auf der ein wenig kunstgewerblich Transparentwände hin und her geschoben werden, zentral auf diese Tür hin ausgerichtet. Doch Tartuffe entert erst nach der Pause den Raum, im vollen Glanz der Perfidie: Die Falschheit seiner Akkuratesse, die degoutant-beflissene, frömmelnde Akrobatik seines Tuns, der schmierige Singsang seiner Rede – man ist von diesem Schleimer (super: Albrecht Abraham Schuch) hingerissen. Er bleckt die Zähne wie ein Wolf und trägt dazu ein edles Hemd.
Was in Róbert Alföldis Inszenierung anfangs noch papieren wirkt (die Reim-Übersetzung von Wolfgang Wiens hat ihre Tücken), entfaltet sich nach und nach zu einem kunstvollen Spiel, in dem Slapstick-Nuancen der Sprache Halt geben (toll: Pascal Gross als Valère, ein puppenhafter Muskel-Beau). Diese Tonlage steigert sich.
Verdammt lustig
Zentraler Motor dieses maroden Haushalts ist die Zofe Dorine (Swintha Gersthofer), die das hinterhältige Treiben von Anfang an durchschaut und die – als Höhepunkt im zweiten Akt – eine verdammt lustige Moderation eines gefährlich schieflaufenden Liebesdialogs hinlegt. Dass Orgons Gattin Elmire (Elisa Seydel) zur Überführung Tartuffes als Schwerenöter sehr weit gehen muss (sehr weit!), ist das sachte Statement einer Regie, die ganz genau weiß, worauf sie hinauswill.
Sie zeigt nicht nur die vollkommene Verblendung eines Mannes, der aufgrund seiner Machtstellung jedes Gespür für Maß verloren hat. Sie zeigt auch den Übeltäter, der am Ende (veränderter Schluss, Fassung: Alföldi und Anna Lengyel) die erlösende Botschaft selbst überbringt – und sich vor Lachen nicht halten kann. (Margarete Affenzeller, 28.2.2016)