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Vier strahlende Mimen, die alle ihren ersten Oscar gewinnen konnten – einer musste etwas länger warten: Mark Rylance, Brie Larson, Leonardo DiCaprio und Alicia Vikander (v. li.).

Foto: Reuters/MIKE BLAKE

Los Angeles / Wien – Dass es so kommen würde, war klar. Dass es dann aber wie ein Wirbelwind aus Pointen aufs Publikum losfegte, war allein der Eloquenz und dem spitzbübischen Charme von Moderator Chris Rock zu verdanken. Das Thema Nummer eins der 88. Oscar-Verleihung, die Klage über mangelnde Diversität unter den Nominierten, wurde durch seinen brillanten Eröffnungsredeschwall sofort in Entertainment-Höhen katapultiert. Danach hätte man eigentlich entspannt zum Normalbetrieb zurückkehren können.

Natürlich sei Hollywood rassistisch, spöttelte Rock, man praktiziere dies allerdings mehr im Stile von Studentenverbindungen: "We like you Rhonda – but you're not a Kappa." In seinem gewagtesten Gag sagte er, die klassische Einspielung der im letzten Jahr Verstorbenen würde dieses Jahr einer Montage von Schwarzen weichen, die auf ihrem Weg ins Kino von Cops niedergeschossen wurden. Und: Neue Kategorien gehören her, "Bester schwarzer Freund" könne so überkommene wie "Bester Hauptdarsteller" ab sofort ersetzen.

Erledigt hat sich die Angelegenheit mit diesen Witzen freilich nicht, doch Rock sensibilisierte, ohne sich vor einen Wagen spannen zu lassen – das muss man erst einmal schaffen. Er lieferte auch nach. Etwa eine gelungene Einspielung, in der er im Problemviertel Compton nach jüngsten Kinoerlebnissen fragte. Die Antwort von allen: Straight Outta Compton. Stephen Galloway, Chefredakteur von Hollywood Reporter, ist beizupflichten: Man müsse den Mangel an Vielfalt bei der Wurzel bekämpfen – nicht bei der Oscar-Gala, sondern bei den Studios, die zu wenige Filme mit entsprechendem Profil produzieren.

Kaum klare Sieger

Im Dolby Theatre drückte sich die Diversität am Sonntagabend dann anders aus: Nicht ein einzelner Film, nicht das favorisierte Survivaldrama The Revenant machte das Rennen, sondern mehrere Filme gewannen Preise, sodass man am Ende gar nicht sagen konnte, dass es einen klaren Sieger gibt. Außer freilich den einen: Leonardo DiCaprio, der im insgesamt fünften Anlauf einen Oscar als bester Schauspieler entgegennehmen durfte. Seine Dankesrede wirkte dann betont locker, es blieb ihm sogar noch genügend Zeit, auf die Problematik des Klimawandels einzugehen. Auch Brie Larson konnte sich mit dem Entführungsdrama Room als favorisierte Hauptdarstellerin durchsetzen.

Lange behielt Mad Max: Fury Road an diesem Abend die Nase vorn: George Millers bei Publikum und Kritik gleichermaßen beliebter Postapokalypse-Ritt holte sich gleich sechs der technischen Auszeichnungen. Das brachte auch ein wenig Street-Credibility in den Kleider- und Smoking-Glamour hinein, etwa durch Kostümbildnerin Jenny Beavan, die in Rocker-Montur die Bühne erklomm.

Der an den Kinokassen ähnlich erfolgreiche The Revenant holte am Ende nur drei Oscars, dafür in künstlerisch wichtigen Kategorien: Neben DiCaprio durfte sich Kameramann Emmanuel Lubezki freuen, der zum dritten Mal in Folge gewann – das war noch niemandem gelungen. Alejandro G. Iñárritu holte sich wie schon letztes Jahr die Auszeichnung als bester Regisseur.

Man kann in der Wahl der beiden Blockbuster ein Zeichen der Academy für spektakuläres Autorenkino sehen, das der großen Leinwand bedarf. Und dennoch votierte man am Ende für einen überraschenden Split: Das im Vergleich viel klassischere Aufdeckerdrama Spotlight gewann den Oscar für den besten Film (nebst jenem für das beste Originaldrehbuch). Offenbar wollte man Iñárritus Trip-Kino, das nicht richtig zur Regel werden kann, ein kluges, rundes und wunderbar gespieltes Ensemblestück entgegenhalten, das in Hollywood mittlerweile zu selten in Produktion geht, ja oft ins Fernsehen auswandert.

Eine kleine Enttäuschung war, dass Todd Haynes' Liebesdrama Carol an einem Abend, wo alles in Richtung Ausgeglichenheit tendierte, gänzlich leer ausging. Der Brite Mark Rylance wurde unerwartet, aber verdient für seine Rolle in Bridge of Spies als bester Nebendarsteller prämiert – Sylvester Stallone, den viele schon als Sieger sahen, nahm es mit Fassung.

Ähnliches gilt wohl für Patrick Vollrath, der mit seinem an der Wiener Filmakademie realisierten Kurzfilm Alles wird gut im Rennen war und leer ausging. Er durfte am Ende noch hautnah miterleben, wie Chris Rock "Black Lives Matter" ins Auditorium rief, während zum Abspann kämpferisch Fight The Power von Public Enemy zu hören war. Ein Abend mit durchgängigem Thema. Der eigentliche Kraftakt freilich kommt erst. (Dominik Kamalzadeh, 29.2.2016)