Im Gegensatz zu Deutschland bekämpft Österreich aktuell den modernen Antisemitismus. Mit dieser Haltung macht Österreich Schule. Dies zeigt sich z. B. an zwei Beispielen, die jüngst im Februar stattfanden.

Die Nationalratspräsidentin der Republik Österreich, Doris Bures (SPÖ), hat wegen zweier Anti-Israel-Aktivisten eine Veranstaltung abgesagt.

Eine Aktivistin ist ein ausgewiesener Fan der Terrormiliz Hamas und will Israel abschaffen. Eine zweite Aktivistin ist eine überzeugte Verschwörungstheoretikerin, die behauptet, dass Israel hinter den Terroranschlägen vom 11. September 2001 steckt. Das zweite Beispiel geht von Wiens Bürgermeister, Michael Häupl (SPÖ), aus. Häupl hat am Freitag das Amerlinghaus (Kultur- und Kommunikationszentrum) aufgefordert, die Israel-Boykott-Veranstaltungen abzusagen.

Deutschland könnte, wenn es wollte, einige Sachen von Österreich lernen. Der moderne Antisemitismus verbreitet sich in Deutschland rasant. Denn nichts anderes als Antisemitismus ist es, wenn der jüdische Staat Israel dämonisiert und delegitimiert wird und wenn man ihn und andere Länder mit zweierlei Maß misst.

Israel als Ersatz

Da die offene Attacke gegen Juden in der deutschen Nachkriegsgesellschaft nicht mehr salonfähig ist, wird nun ersatzweise Israel angegriffen – gewissermaßen als "Jude unter den Staaten", wie es der Historiker Léon Poliakov einmal formuliert hat. Dort, wo sich Antisemitismus nicht mehr direkt äußert, zeigt er sich jetzt bevorzugt in einer kruden Israel-Kritik, die zu einer Lieblingsbeschäftigung vieler Deutscher geworden ist. Die Gründungsphilosophie Israels, der Zionismus, ist lange schon zum Schimpfwort mutiert. Der linke österreichische Journalist und Auschwitz-Überlebende Jean Améry brachte es bereits in den späten Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts auf den Punkt, als er schrieb: "Der Antisemitismus, enthalten im Anti-Israelismus oder Anti-Zionismus wie das Gewitter in der Wolke, ist wiederum ehrbar."

Eine Erscheinungsform des modernen Antisemitismus wird von der sogenannten BDS-Bewegung vertreten. Die Abkürzung steht dabei für Boykotte, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel. Die Aktivisten der BDS-Bewegung fordern beispielsweise den Boykott von Waren, die in israelischen Siedlungen im Westjordanland produziert worden sind, oder zumindest deren Kennzeichnung. Damit legen sie die alte Nazi-Parole "Kauft nicht beim Juden!" neu auf.

In den vergangenen Monaten gab es eine Vielzahl von Beispielen für modernen deutschen Antisemitismus. Besonders bemerkenswert ist dabei, was sich diesbezüglich in Bayern tut. Der Kulturreferent der Stadt München etwa, Hans-Georg Küppers, bietet den BDS-Befürwortern trotz Protesten weiterhin städtische Räumlichkeiten für deren Veranstaltungen, bei denen Hass gegen Israel gesät wird. Zwar hat sich der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter von der BDS-Bewegung distanziert. Doch seinen Kulturreferenten lässt er weiterhin gewähren – eine inkonsequente Haltung.

Die Stadt Bayreuth wiederum wird die amerikanische Organisation Code Pink mit ihrem Wilhelmine-Preis für Toleranz und Humanität auszeichnen, obwohl die Gruppe Israel gegenüber äußerst feindlich eingestellt ist und 2014 sogar im Iran an einer Konferenz von Holocaustleugnern und Verschwörungstheoretikern teilgenommen hat. Um das herauszufinden, hätte bereits eine simple Google-Recherche genügt.

Nach Protesten und vielen Diskussionen erwog die Bayreuther Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe zwar, den Preis doch nicht an Code Pink zu vergeben. Doch der Stadtrat beschloss mit 23 zu 18 Stimmen, bei der Entscheidung zu bleiben.

Die Volkshochschule in Ulm in Baden-Württemberg hält seit 2008 eine Reihe von Israel-Hass-Veranstaltungen ab.

Auch in einem Teil der Berichterstattung von in Bayern erscheinenden Zeitungen spiegelt sich der moderne Antisemitismus wider. So führt beispielsweise die Süddeutsche Zeitung schon seit Jahren eine regelrechte Medienkampagne gegen Israel. Im Juli 2013 etwa bebilderte sie einen Text über den "Niedergang des liberalen Zionismus" mit einer Karikatur, die ein gefräßiges Monster zeigte, das offensichtlich den jüdischen Staat symbolisieren sollte. Und erst kürzlich verstieg sich der Israel-Korrespondent des Blattes, Peter Münch, zu der Behauptung, Israel sei in einem "Kreislauf der Rache" gefangen, womit er das alte antisemitische Klischee von der jüdischen Rachsucht aufgriff.

Shoah-Entlastung

Bereits im Dezember 2012 hatte Münch Israel in die Nähe eines Unrechtsstaats gerückt, als er behauptete, staatlicher Rechtsbruch sei in Israel "längst Routine". Weiter schrieb er, Israel habe mit seiner Politik "die ganze Welt herausgefordert" und "gegen den Willen der Weltgemeinschaft" gehandelt. Auch dies war eine Dämonisierung und Delegitimierung, wie sie für den modernen Antisemitismus charakteristisch ist.

Offenkundig gibt es in Deutschland ein großes Bedürfnis, sich mittels Israel-Kritik von der Shoah zu entlasten. Zugespitzt formuliert könnte man sagen: Viele Deutsche werden den Israelis den Holocaust nie verzeihen.

Der "neue", modernisierte Antisemitismus prägt die deutsche Gesellschaft seit 1945. Theodor W. Adorno und Max Horkheimer haben dieses Phänomen nach dem Krieg als Schuldabwehrantisemitismus bezeichnet. Die giftige Mischung aus diesem Schuldabwehrantisemitismus und der teilweise obsessiv betriebenen Israel-Kritik ist ein Zeichen für eine unreife Demokratie und eine Gefahr sowohl für Juden als auch für Nichtjuden. Wann wird endlich nennenswerter Widerstand dagegen geleistet? (Benjamin Weinthal, 1.3.2016)