Forschendes Interesse am Kunstbetrieb: Andrea Fraser.

Essays:

"Über die soziale Welt sprechen"

"There's no place like home"

"L'1% c'est moi"

Foto: Rainer Iglar

Wien – Andrea Fraser ist eine der herausragendsten Vertreterinnen der sogenannten Institutional Critique. Kurz gesagt: Sie entlarvt das System der Kunst, deren Akteure, deren Markt – nicht ohne ihre eigene Rolle als Künstlerin in diesem, seit Frasers Anfängen in den 1990er-Jahren immer komplexeren Gefüge zu hinterfragen. In Videoperformances persiflierte sie aufgeblasene Rhetoriken, karikierte das Selbstverständnis der Museen, hinterfragte deren Funktion sowie soziale und ökonomische Missverhältnisse. Am Dienstag wurde ihr in Wien der Oskar-Kokoschka-Preis verliehen. Zuletzt erhielt den alle zwei Jahre vergebenen, mit 20.000 Euro dotierten Preis des Bundesministeriums für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft Peter Weibel. Mit ihm als Österreich-Kommissär nahm Fraser 1993 an der Biennale Venedig teil.

STANDARD: In zwei Videoperformances, "Little Frank and His Carp" und "A Visit to the Sistine Chapel" stellen Sie die Museumsbesucher als sinnlich Verführte dar. Warum ist Verführung im Museum falsch?

Fraser: Es ist die Frage, zu was wir verführt werden. Werden wir zur Vorstellung verführt, Freiheiten zu haben, die wir nicht haben, zur Identifikation mit neoliberalen globalen Richtlinien, zu einer Fantasie über die Freiheit von Künstlern und Prominenten? Wir werden verführt zu einer Art unkritischer Frömmigkeit gegenüber Kunst und Institutionen. Mir geht es um den nicht denken machenden Teil der Verführung, um eine Art von unbewusstem, auch passivem Verfolgen der Vorgaben.

Flip Floppy

STANDARD: Oft waren die auftraggebenden Institutionen auch Gegenstand Ihrer kritischen Studien. Gab es da jemals Probleme?

Fraser: Ich bin vorsichtig mit dem Begriff Zensur. Künstler sind schnell darin, etwas Zensur zu nennen, denken aber nicht darüber nach, ob sie nicht selbst nur ihre eigenen Interessen verfolgen – in einer Art, die nicht selbstkritisch ist. Viele meiner Arbeiten mit Organisationen erforderten Partizipation, etwa weil ich Interviews gemacht habe. Mir war das Einverständnis mit dem, was ich da tat, wichtig. Um produktiv zu sein, braucht es diese Akzeptanz innerhalb der Institutionen, sonst fühlen sie sich falsch repräsentiert. Es gibt da Abwehrmechanismen.

STANDARD: Also keine Zensur?

Fraser: Doch. In meiner Arbeit mit der Generali-Versicherung gab es Diskussionen, weil ich den Durchschnittspreis eines Kunstwerks mit dem Anfangsgehalt einer Sekretärin vergleichen wollte. Jemand im Vorstand war damit nicht einverstanden. Ich habe nie wirklich den Grund dafür herausgefunden und fand dann andere Zahlen für diesen Vergleich. Die unmittelbarste Form der Zensur habe ich aber mit dem Magazin Artforum erlebt. Sie luden mich zu einem Beitrag für eine Museumsausgabe ein, und ich schrieb über die Verflechtung von Stiftungsratsmitgliedern des Museum of Modern Art (MoMA) in New York in die ökonomische Krise. Sie lehnten ab, es zu veröffentlichen. Sie hätten zu viele Texte und sähen nicht den Nutzen darin, Einzelne zur Rede zu stellen.

STANDARD: Sie beschäftigen sich sehr mit den ökonomischen Bedingungen der Kunst, stellten etwa die These auf, dass es der Kunst umso besser gehe, je mehr finanzielle Ungleichheit es gibt. Gab es einen Auslöser für diesen Fokus?

Fraser: Während des Kunstmarktbooms in den Nullerjahren verfolgte ich die Berichterstattung über steigende soziale Ungleichheit. Nobelpreisträger Paul Krugmann schrieb etwa in der "New York Times" ständig darüber, daneben hatte man große Geschichten über den Kunstmarkt und in den Himmel schießende Auktionspreise, aber die Verbindung zwischen beidem wurde nicht hergestellt. Das frustrierte mich. Erst ein Aufsatz dreier Ökonomen in "Art & Money" brachte das Offensichtliche zusammen. Sie fanden keine anderen Indikatoren für diese Entwicklung, nur das Vermögenswachstum an der Spitze der ökonomischen Pyramide.

STANDARD: In "Projection" beklagen Sie die Ambivalenz des Künstlers, einerseits Kritik üben zu können, aber auch Zwängen des Kunstbetriebs unterworfen zu sein. Wie geht man mit dieser Schizophrenie um?

Fraser: Ambivalenz ist ein Zustand des Unentschlossenseins, aber im Grunde meint er einen Konflikt. Es gibt diesen Dualismus im Kunstbetrieb: Reichtum und Macht im Sinne kulturellen Kapitals stehen in Opposition zu politischem und finanziellem Kapital. Ein struktureller Konflikt, der sein Gegenüber im psychologischen Konflikt findet. Aber das Gute am Kunstbetrieb ist – und es gibt nicht viele Orte in unserer Gesellschaft, über die man das sagen könnte -, dass er Platz bietet, um über diese Konflikte zu reflektieren, ja öffentlich mit ihnen zu ringen. Ob das dazu führt, die Konflikte zu lösen? Da bin ich nicht besonders optimistisch. Aber hoffentlich führt es dazu, sie produktiv zu machen. Ich denke, das hat mehr Chancen einen positiven Einfluss zu haben, als von logischen Widersprüche zu sprechen oder den Konflikt in Naivität zu ignorieren. Es ist aber nicht immer erfreulich. (Anne Katrin Feßler, 2.3.2016)