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Täglich kommen mehr als Tausend Menschen in Piräus an, weiter nach Norden gelangten in den vergangenen drei Tagen nur 170 Asylsuchende.

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Die griechische-mazedonische Grenze ist massiv gesichert, zehntausende Menschen warten davor.

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Athen/Piräus/Idomeni – In der griechischen Hafenstadt Piräus sind am Mittwoch mehr als 1.000 Flüchtlinge und Migranten von den Ägäisinseln angekommen. Sie hatten in den vergangenen Tagen von der türkischen Küste auf die griechischen Inseln im Osten der Ägäis übergesetzt und wurden von dort mit Fähren auf das Festland gebracht. Auf der Insel Lesbos wurden am Mittwoch erneut 900 Neuankünfte gezählt. Dies sei doppelt so viel wie der Durchschnitt der Ankünfte in den vergangenen drei Tagen, berichtete das Staatsradio unter Berufung auf die Küstenwache.

Nach Angaben der EU-Kommission schiebt Griechenland aber auch vermehrt illegale Migranten wieder in die Türkei ab. So sei das Land derzeit dabei, in den kommenden Tagen 308 illegale, vor allem aus Pakistan stammende Einwanderer in die Türkei zurückzuführen, erklärte die EU-Behörde am Mittwoch in Brüssel. Der aus Griechenland stammende EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos sagte: "Unter dem EU-Türkei-Aktionsplan haben wir vereinbart, dass Abschiebungen und Rückübernahmen mit der Türkei beschleunigt werden."

Die aktuellen Transfers von illegalen Migranten aus Griechenland zeigten, dass die Bemühungen erste Früchte trügen. "Wir müssen sicherstellen, dass alle, die Schutz brauchen diesen auch bekommen, aber es muss auch klar sein, dass diejenigen, die kein Recht auf Aufenthalt in der EU haben, rasch und wirksam zurückgebracht werden", sagte Avramopoulos.

Rückstau in Idomeni

Dennoch hat sich die Lage an der griechisch-mazedonischen Grenze bei Idomeni bisher kaum gebessert. Nach griechischen Medienberichten warten mittlerweile mehr als 10.000 Menschen, um nach Norden zu gelangen. Sie hoffen, dass Mazedonien doch noch seinen Zaun öffnet, und weigern sich, in Flüchtlingslagern südlich der Grenze untergebracht zu werden. Die Versorgung dieser Menschen wird immer schwieriger. Ihre Gesundheit – vor allem die der Kinder – sei in Gefahr, warnten mehrere humanitäre Organisationen.

Tatsächlich öffnete Mazedonien am Mittwoch kurzzeitig die Tore. Insgesamt 170 Flüchtlinge konnten den griechisch-mazedonischen Grenzübergang in der Nacht passieren. Es war die erste Gruppe von Asylsuchenden, die die mazedonischen Behörden nach dem Sturm verzweifelter Migranten auf den Grenzzaun am Montag, ins Land ließen. Nur jene Syrer und Iraker, die vollständige Personaldokumente besitzen, durften die Grenze passieren, meldete die serbische Presseagentur Tanjug. Seit dem 22. Februar gelten an der mazedonisch-griechischen Grenze strengere Kontrollmaßnahmen.

Nach griechischer Einschätzung wird das so bleiben und die Balkanroute sich nicht wieder für Migranten öffnen. "Wir werden kein Transitland mehr sein", sagte Migrationsminister Yannis Mouzalas einer Gruppe von Bürgermeistern am Mittwoch nach Berichten griechischer Medien. Mehr als 100.000 Flüchtlinge könnten im Land bleiben. Deshalb müssten in allen Regionen des Landes neue Aufnahmelager errichtet werden. Die EU schlug am Mittwoch vor, Athen unter die Arme zu greifen. Staaten wie Griechenland sollen demnach binnen drei Jahren bis zu 700 Millionen Euro für die Bewältigung der Flüchtlingskrise bekommen.

Am Ausgangspunkt der Balkanroute, an der türkischen Küste, verzögert sich der Nato-Einsatz gegen Schlepper weiter. Drei Wochen nach dem Eilbeschluss fänden "zurzeit die notwendigen Detailabsprachen statt", die Planungen seien aber "auf einem guten Weg", teilte ein Sprecher des deutschen Verteidigungsministeriums am Mittwoch der Nachrichtenagentur AFP mit.

Schärferes Gesetz in Slowenien

Slowenien will indes seine Asylregeln verschärfen, um das Land für Asylsuchende unattraktiv zu machen. Das Parlament in Ljubljana wird am Freitag ein neues Asylgesetz verabschieden, das die Verfahren verkürzt und finanzielle Unterstützung für Asylberechtigte einschränkt.

Mit dem neuen Gesetz, das in erster Linie mit Umsetzung der EU-Richtlinien begründet wird, reagiere die Mitte-Links-Regierung auch auf die Flüchtlingskrise und auf potenziell verstärkten Druck auf das slowenische Asylsystem, wie die slowenische Innenministerin Vesna Györkös Znidar bei einer Parlamentsdebatte am Dienstag erklärte. Als Transitland ist Slowenien derzeit für Asylsuchende nicht interessant. Ljubljana erwartet aber, dass sich das in der Zukunft ändern könnte, sobald die Aufnahmekapazitäten in den Zielländern ausgeschöpft sind.

Auch der slowakische Ministerpräsident Robert Fico hat seine harte Haltung in der Flüchtlingskrise unterstrichen. "Wir werden uns konsequent nach der Maxime richten, dass jeder, der die Grenze zwischen Ungarn und der Slowakei oder Österreich und der Slowakei überschreitet, ein illegaler Migrant ist", sagte Fico wenige Tage vor der Parlamentswahl am Samstag dem tschechischen Fernsehsender CT. Die Slowakei ist so gut wie nicht von illegalen Grenzübertritten betroffen.

Räumung in Calais fortgesetzt

An einem anderen Schauplatz der Flüchtlingskrise, im Lager nahe der französischen Stadt Calais, wurde unterdessen die Räumung fortgesetzt. Im Schutz eines großen Polizeiaufgebotes begannen Arbeiter damit, Baracken und Unterkünfte abzureißen. Vereinzelt wollten Demonstranten dies verhindern, indem sie sich auf die Behausungen setzten. Kleinere Gruppen von Aktivisten wurden von den Polizeieinheiten weggedrängt.

Vor allem am Montag, dem ersten Tag der Räumung, war es zu einigen Auseinandersetzungen zwischen Migranten, Aktivisten und der Polizei gekommen. Dabei setzte die Polizei auch Tränengas ein. Mehrfach mussten Feuer in diesem Teil des Lagers gelöscht werden.

Die Räumung der slumähnlichen Behausungen soll sich laut Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve längere Zeit hinziehen. Die bis zu 1.000 Migranten und Flüchtlinge, die illegal nach Großbritannien gelangen wollen, sollen in Aufnahmezentren untergebracht werden.

Tausende vermisste Kinder

Für das "Chaos" und die "Gewalt" an der griechisch-mazedonischen Grenze hat die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) unter anderem Österreich verantwortlich gemacht. Es seien "direkte Folgen" der Einführung von Tageskontingenten für Flüchtlinge, die eindeutig gegen internationales und EU-Recht verstößt, so HRW am Mittwoch. Österreich, Slowenien, Kroatien und Mazedonien – alle Länder haben mittlerweile eine tägliche Obergrenze für Asylanträge bzw. Durchreisende eingeführt – sollten diese Politik "schleunigst" beenden.

Auf eine besorgniserregende Entwicklung machte die Organisation "Missing Children Europe" aufmerksam. Nach Angaben der NGO kamen 2015 mehr als 89.000 unbegleitete Kinder nach Europa, ein krasser Anstieg gegenüber 23.000 im Jahr 2014. Nach Angaben von Europol wurden 10.000 dieser Kinder nur Stunden nach ihrer Registrierung als vermisst gemeldet, und nur eine Handvoll von ihnen wurde bisher wieder gefunden. Die nationalen Berichte würden darauf deuten, dass die Zahl der ungeleiteten Kinder noch höher sei, und dass viele Kinder vermisst würden, bevor sie als Flüchtlinge registriert werden, erklärte die Organisation.

"Kinder, die in Europa ankommen, um Krieg, Armut und Verfolgung in ihrem Land zu entkommen, begegnen echten Risiken, dass sie Opfer von Menschenhandel, sexueller Ausbeutung, Zwangsehen und wirtschaftlicher Ausbeutung werden, einschließlich gewaltsamer Organspenden, erzwungenem Drogenschmuggel und Bettelei. Eine Besorgnis erregend hohe Zahl dieser Kinder wird niemals gefunden", sagte Delphine Moralis, die Generalsekretärin der Organisation am Mittwoch in Brüssel. (APA, dpa, 2.3.2016)