Edward Bright galt im 18. Jahrundert als dickster Mensch Englands. Er kam aus Essex, wog 280 Kilogramm und starb mit 29 Jahren.

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Richard J. Johnson: Der Fettschalter: Fettleibigkeit neu denken, verstehen und bekämpfen. Hachinger Verlagsgesellschaft 2015. 292 Seiten. 30,40 Euro

Es ist der große Wunschtraum aller Menschen mit Übergewicht. Stellen wir uns einmal vor, die Medizin würde tatsächlich eine Möglichkeit finden, Fett schmelzen zu lassen. Das wäre nicht nur für all jene, die seit Jahren gegen díe Kilos kämpfen eine Wunschvorstellung, sondern auch für die Gesellschaft allgemein. Die Adipositas-Zahlen steigen dramatisch und damit alle Begleiterkrankungen, die durch Übergewicht ausgelöst werden.

Der Buchtitel "Der Fettschalter" suggeriert, das es genau so einen Mechanismus geben könnte. Wer denkt, es handle sich um eines der vielen Abnehmbücher, die derzeit den Buchmarkt überschwemmen irrt. Richard Johnson, US-Nephrologe und Autor dieses Buches, geht die Frage darwinistisch an und beleuchtet den Stoffwechsel in evolutionsbiologischen Zusammenhängen.

Hunger mit Funktion

Denn, und so viel ist auch klar: Niemand kennt die genauen Ursachen für das grassierende Übergewicht. Warum manche Menschen so viel essen können, wie sie wollen und schlank bleiben und andere "Essen nur riechen müssen, um zuzunehmen", wie es heißt, ist unbekannt.

Johnson beginnt mit der reinen Überlebensfrage. Wie funktioniert Hunger und Sättigung? Wie hat es die Menschheit geschafft, auch Extremsituationen zu überstehen. Dafür sieht er sich vor allem auch im Tierreich um und dekliniert die Stoffwechselveränderungen, die bei Tieren im Winterschlaf einsetzen. Dafür steigt der Autor sehr tief in die physiologischen Grundlagen von Organismen ein und setzt Organsysteme folgerichtig miteinander in Beziehung.

Übergewicht, Fettstoffwechsel, Insulinresistenz, Harnsäurewerte, Vitamin-C-Spiegel und Genetik werden zueinander in Verbindung gesetzt – in durchaus wissenschaftlicher Art und Weise. Es ist ein Buch für alle, die es genau wissen wollen und wie es sich gehört, sind im Anhang die Studien, auf die er sich bezieht, aufgelistet.

Du bist, was du isst

Umfassend ist auch Johnsons Auseinandersetzung mit der Ernährungsfrage. Auch hier nutzt der Autor den darwinistischen Ansatz, und liefert damit eine Art Ernährungsgeschichte der Menschheit gleich mit dazu. Johnsons wichtigste Hypothese: Je stärker der Zuckerkonsum, umso kränker die Menschheit. Die Beweise dafür findet er schon bei den Römern, bei den fettleibigen Adeligen im 18. Jahrhundert – zu Zeiten, in denen Zucker als Luxusgut nur wenigen Menschen vorbehalten war.

Folgerichtig prangert er den industriellen Einsatz von Fruktose und Glukose-Sirup in all ihren Spielarten an, argumentiert die Gefahren von Süßstoff, aber auch von Bier und sämtlichen Lebensmittel, die in ihrer Geschmacksrichtung als "umami" zu bezeichnen sind. Hier ortet der Autor die Wurzel des Übels: Nicht nur Diabetes auch sämtliche anderen Zivilisationserkrankungen wie Bluthochdruck, Arteriosklerose, Karies, Gicht und ADHS werden durch die zuckrige Überdosis verursacht.

Kurzweiliger Wissenszuwachs

Johnson erspart seinen Lesern die Komplexität dieses Themas keineswegs, kommt aber immer wieder auf seine Grundthese zurück, manchmal mag er dabei fast etwas aktionistisch erscheinen: Ein Eindruck der sich aber verliert, wenn er seine Kapitel mit Anekdoten aus Geschichte, Kunst und Kultur auflockert. Einziger Kritikpunkt: Das Cover, diese fantastische Zusammenschau hätte mehr Sorgfalt in der optischen Gestaltung verdient.

Eine einfache Formel zum Abnehmen bleibt der Autor konsequenterweise schuldig. Wer einmal verstanden hat, wie der Stoffwechsel funktioniert und wie er aus dem Ruder laufen kann, kennt die Lösung sowieso. (Karin Pollack, 7.3.2016)