Während der Krieg in Syrien ungeachtet des partiellen Waffenstillstands weitertobt, die Bevölkerung weiterhin in Gefahr und Elend lebt und zwischen den Konflikten aufgerieben wird, zeigen die an Syrien grenzenden Staaten eine für Europa beispielhafte Solidarität. Angesichts der Tatsache, wie viele Millionen Flüchtlinge sich in diesen Ländern, die um vieles ärmer sind als Österreich, in ihrer Not angesammelt haben, ist es beschämend, wenn vonseiten Österreichs behauptet wird, unser Land nehme mehr Menschen auf als die meisten anderen Länder.

Der Blick vom Süden Europas auf die Flüchtlingssituation attestiert der österreichischen Bundesregierung leider eine völlige Fehleinschätzung der Fakten. Eine Lösungsstrategie in Sachen Flüchtlingssituation, die allein darauf abzielt, den Druck auf Griechenland zu erhöhen, ist realitätsfern wie verantwortungslos. An erster Stelle müsse das Retten stehen, an zweiter Stelle die Zurückweisung. "Dann haben die gefährlichen Überfahrten sofort ein Ende." Nein, Frau Bundesminister, das haben bzw. hätten sie nicht!

Weiterhin kommen täglich dutzende Boote mit tausenden verzweifelten Menschen über das Meer, mehr als dreitausend an einem Tag. Kriegsgräuel und Hoffnungslosigkeit unter den Flüchtlingen in angrenzenden Ländern sowie der Wunsch, Familienangehörige wiederzufinden, werden täglich wieder viele tausende Kriegsopfer Richtung Europa treiben. Welche Maßnahmen sind geeignet, diese Menschen aufzuhalten? Küstenwache? Kriegsschiffe? Mauern? Stacheldraht? Doch nur die Einstellung der Kriegshandlungen und der Feindseligkeiten. Solange diese kein Ende finden, wird die gepeinigte Bevölkerung alles unternehmen, um dem Elend zu entkommen.

Weitblick vonnöten

So sehr die Europäer, die untereinander völlig uneins sind und nicht einmal mehr dieselben ethischen Grundwerte teilen, auch an ihrer Festung zimmern – sie werden Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten nicht von dem Versuch abhalten können, ihr Leben zu retten. Europa kann nur eines tun: in Mitverantwortlichkeit und Solidarität den Opfern gegenüber zu handeln. Dazu braucht es Weitblick in der Flüchtlingspolitik und auch Überzeugungskraft. Schließlich soll aus Millionen gewaltsam vertriebenen Kindern eine Generation heranwachsen, die europäischem Gedankengut nicht feindselig, ja, hasserfüllt gegenübersteht, sondern dieses als positiv, bereichernd und vorbildlich empfindet.

Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass Griechenland zum Handlanger einer Stacheldrahtpolitik werden soll, die letztendlich dazu führen wird, dass Menschen nicht mehr aus dem Meer gerettet, sondern dem Ertrinken preisgegeben werden. Ist dies das unterschwellige Ziel des österreichischen Handelns? Das würde dann erneut in eine Schuld Griechenlands umgemünzt werden, und zu seinem infamen Schuldenberg käme dann noch Beihilfe zum massenweisen Tod hilfloser Menschen dazu.

Griechenland wird seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise 2010 öffentlich die Fähigkeit abgesprochen, seine eigene Bürokratie zu meistern. Nun sehen wir aber, wie griechische Behörden das bewältigen, was österreichische Ämter in dieser Dimension überfordern würde, und wie freiwillige griechische Helfer in Zusammenarbeit mit griechischen NGOs und internationalen Organisationen, unermüdlich Menschen retten, medizinisch versorgen, trösten. Aber wie soll ein Land, das selbst in einer tiefen wirtschaftlichen und humanitären, ständig krasser werdenden Krise steckt, im Alleingang das Problem regeln?

Im Jahr 2015 erreichten 856.000 Menschen griechische Küsten, während der ersten beiden Monate des heurigen Jahres waren es mehr als 122.000, wobei 410 ertrunken oder spurlos verschwunden sind. Nahezu zwanzigtausend sind täglich auf griechischem Boden auf der Suche nach Schutz, der ihnen daheim verwehrt wird. Was genau soll Griechenland, in dem viele Bewohner bereits dem Elend preisgegeben sind, tun?

Die Hälfte der Kapazitäten griechischer Passagierschiffe zwischen den Inseln Lesbos, Kos, Chios und Leros wird heute dem Transport von bereits registrierten Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. Das bedeutet, dass für Touristen weniger Platz ist. Auf Inseln, deren Wirtschaft fast ausschließlich vom Tourismus lebt, wird für die Sommersaison 2016 ein Einkommensrückgang von über 80 Prozent erwartet.

Weiters stellt sich die bereits an vielen Stellen heftig diskutierte Frage, wie die Konferenz in Wien ohne das am meisten betroffene Land abgehalten werden konnte. War die Nichteinladung die Strafe für die vermeintliche Unfähigkeit Griechenlands, seine maritimen Außengrenzen zu schützen, für seine "Politik des Durchwinkens", für seinen Mangel an Kooperation?

Falsches Druckmittel

Welches Profil auch immer diese Konferenz hatte – zumindest als Gast hätte Griechenland eingeladen werden müssen, um den Konferenzteilnehmern als Denkanstoß die blanken Tatsachen vor Augen zu halten! Mikl-Leitner drückte die Meinung der Bundesregierung aus, dass jenseits einer gesamteuropäischen Lösung mit nationalen und regionalen Maßnahmen Druck gemacht werden solle.

Wer soll diesen Druck ausüben? Länder, die verantwortungslos darauf abzielen, neonationalistische Methoden einzuführen, dabei jedoch ihre gesetzlich verankerte Verantwortung gegenüber der Europäischen Grundrechtecharta sträflich außer Acht lassen? Das darf doch nicht sein!

Wenn das kleine Österreich sich in einem nationalen Alleingang "komplett gegen Flüchtlinge abschotten" will, wird es als Auslöser einer humanitären Katastrophe in die Geschichte eingehen. Österreichs Regierung rechtfertigt ihre Reaktion damit, dass sie sich außerstande fühlt, einen größeren Zustrom von Flüchtlingen zu verwalten. Dabei sind die Grenzübergänge Österreichs in ihrer Übersichtlichkeit nicht zu vergleichen mit der Komplexität der maritimen Grenzen Griechenlands.

Wie soll Griechenland seine Grenzen schützen, wenn Österreich meint, auf Stacheldrahtzäune und Mauern zurückgreifen zu müssen? Österreich als kleines, überschaubares Land kann sich leicht abschotten. Das kann ein Staat mit mehr als 2000 Inseln und fast 14.000 Kilometern Küstenlinie (weltweit Rang 13), ein Land, das überdies an chronischer Strukturschwäche leidet, nicht. Die Versuche Griechenlands, mit den eigenen unzureichenden Mitteln der Situation Herr zu werden, müssen massiv unterstützt werden. Stattdessen beschließt Österreich, den Balkanstaaten ein Konvolut planloser Anordnungen vorzulegen, derer wir, die wir das Elend eines großen Teils der griechischen Zivilbevölkerung direkt miterleben, uns tief schämen.

Historische Pflicht

Wir appellieren an die Vernunft, nichts unversucht zu lassen, Europa vor kurzsichtigem Neonationalismus zu schützen. Österreich sollte angesichts seiner Vergangenheit, insbesondere auf dem Balkan, alles tun, um in diesen schwierigen Zeiten eine besonnene, tragfähige, weitblickende und vor allem eine auf den Ideen der Aufklärung und der Menschlichkeit basierende Politik durchzusetzen. (2.3.2016)