
Büffeln für die Prüfung, um mit dem Ehepartner zusammenzuleben: für die Betroffenen eine Hürde, der Integration nicht förderlich, meinen Kritiker. Auf die überwiegende Mehrheit der Zuwanderer ist die Regelung aber ohnehin nicht anwendbar.
"Ich will ja nicht auf Teufel komm raus nach Deutschland. Ich habe nur das Pech, dass meine Frau deutsche Staatsbürgerin ist." Der Kapitän aus Istanbul ist sauer. Dabei hat alles ganz harmlos begonnen: Eine Urlauberin aus Deutschland steigt in einem Hotel in Istanbul ab, er lernt sie kennen, sie wird von ihm "angebaggert", wie er erzählt, man verliebt sich – und nach einiger Zeit beschließt man zu heiraten.
Doch die Wucht deutschen Fremdenrechts schlägt zu. Monate nach der Hochzeit lebt das Paar immer noch tausende Kilometer getrennt voneinander: Erst muss der Mann einen Deutschkurs besuchen, muss 650 Vokabeln lernen und Prüfungsfragen in der fremden Sprache beantworten können. Besteht er, darf er erst sein Visum beantragen. Doch die Kurszeiten neben einem Vollzeitjob unterzubringen ist schwierig, die Zeit vergeht, die beiden werden müde und beginnen den Frust über das Warten, über den Mangel an Perspektive schließlich aneinander auszulassen. Die Beziehung kriselt.
Ein klassischer Fall, wie er in dem unterhaltsam-prägnanten Film "650 Wörter" der deutschen Dokumentarfilmerin Martina Priessner gezeigt wird. Thema der Doku ist die Regel "Deutsch vor Zuzug", die 2007 in Deutschland und 2011 auch in Österreich eingeführt wurde: Ausländer, die zu ihrem Ehepartner ziehen wollen, bekommen die Erlaubnis dazu nur dann, wenn sie einen Sprachkurs besuchen und eine Deutschprüfung bestehen.
Wirbel verflogen
Nach der Aufregung, als das Gesetz beschlossen wurde, ist es still geworden um die neue Regelung, die von Menschenrechtlern als zu hart kritisiert und von der damaligen Innenministerin als Vorzeige-Integrationsmaßnahme gelobt wurde. Und heute?
Zahlen des Innenministeriums deuten darauf hin, dass von einer allgemeinen Regel keine Rede sein kann. Im Jahr 2015 betrafen nur 4.500 Erstbewilligungen von Aufenthaltstiteln Familienangehörige. "Deutsch vor Zuzug" gilt nur für bestimmte Zuwanderer: Die große Gruppe der EU-Bürger ist sowieso ausgenommen. Migranten aus der Türkei sind seit einer wegweisenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum überwiegenden Teil auch nicht mehr umfasst. Für alle, die keine Familienangehörigen sind, sondern als Studenten, Gewerbetreibende, Flüchtlinge, Schlüsselkräfte oder sonstige Arbeitnehmer einreisen, gilt die Regelung ohnehin nicht. Serben und Serbinnen, nach den Türken die zweitgrößte Zuwanderergruppe im Rahmen der Familienzusammenführung, müssen die Prüfung zwar bestehen, für sie gilt aber das Prinzip "Erst Prüfungserfolg, dann Einreise" nicht, da die Visumpflicht aufgehoben wurde.
Lernen fällt schwerer
Für die, die betroffen sind, stelle das Gesetz aber eine teils unüberwindbare Hürde dar, sagt Sprachwissenschafter Hans-Jürgen Krumm von der Uni Wien. "650 Wörter, das klingt auf den ersten Blick nicht nach viel", sagt der Linguist. Jedoch finde das Lernen unter erschwerten Bedingungen statt: Man könne es nicht anwenden, da man im Herkunftsland außer dem Kursleiter niemanden hat, um die Sprache zu üben. Im Zielland ginge es leichter, meint Krumm. Zudem gehe es in den Kursen meist weniger um Spracherwerb als ums gezielte Üben von Prüfungsbeispielen.
Dazu kommt, dass nur Kurszeugnisse ganz bestimmter Anbieter akzeptiert werden – und die gibt es in vielen Regionen nicht. Zuwanderungswillige müssten also teils Flugreisen unternehmen, um die Prüfungen abzulegen – und dann fürs Stellen des Visumsantrags oft eine weitere Reise zur nächsten Botschaft unternehmen, sagt Fremdenrechtsexperte Johannes Peyrl von der Arbeiterkammer Wien. Für Familienangehörige, die keinen Pflichtschulabschluss haben und sich bereits in ihrer Erstsprache beim Schreiben und Lesen schwertun, ist vor allem die Anforderung, auch über die mündliche Kommunikation hinaus ein bestimmtes Niveau zu erreichen, eine Barriere. Auch Peyrl meint: Das Gesetz ziele nicht auf bessere Integration ab, sondern auf den Ausschluss ganz bestimmter, für unerwünscht erklärter Migrantengruppen.
Österreich wurde geklagt
Die österreichische Deutschkurspflicht vor der Einreise sorgt aber nicht nur bei Betroffenen für Groll, sondern seit einiger Zeit auch bei Juristen der EU. Konkret geht es um türkische Staatsbürger, die aufgrund des Assoziierungsabkommens der Türkei mit der EU rechtlich bessergestellt sind als andere Staatsangehörige. Österreich setzt diese Besserstellung zwar um, die Republik hat aber auch nach expliziter Mahnung durch die EU-Kommission "vergessen", diese Ausnahme im Gesetz zu verankern. Die Folge: Ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof. (Maria Sterkl, 3.3.2016)