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Anerkannte Vorreiter waren und sind die nordeuropäischen Staaten vielfach auch bei kreativen Berufen. Autorinnen wie Astrid Lindgren – Erfinderin der Pippi Langstrumpf – brachten es früh zu Weltruhm.

Foto: EPA Pressensbild

Nordeuropa gilt weltweit als so etwas wie das Paradies der Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern. Großteils mit gutem Grund als Vorreiter gelobt, haben die Gesellschaftssysteme von Schweden, Finnland, Norwegen, Dänemark und Island bei genauerer Betrachtung auch einige weniger bekannte Schattenseiten.

In den vergangenen Jahren ermittelten Studien des Weltwirtschaftsforums (Gender Gap Report) und der Vereinten Nationen jeweils Island beziehungsweise Schweden als Spitzenreiter ihrer Listen zur Gleichstellung der Geschlechter. Auch Dänemark, Finnland und Norwegen landeten in beiden Untersuchungen auf den jeweiligen Top-Positionen.

Die Studien stützen sich auf ähnliche Kriterienkataloge. Darunter finden sich die Bedingungen auf den Arbeitsmärkten und in den Unternehmen, Bildungsgrad, Repräsentation im Parlament, Präsenz in der Politik oder die Stellung in den Sozialsystemen.

Finnland: Frauenwahlrecht ab 1906

Die Gründe für diese Vorreiterrolle der nordeuropäischen Staaten sind vielfältig. Zum Teil mag sie schon in den sprachlichen Gegebenheiten liegen. In den modernen skandinavischen Sprachen sind die Geschlechter durchwegs schwach markiert. Das Finnische macht überhaupt keinen Unterschied zwischen "er" und "sie". Auch war die Frauenbewegung schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Nordeuropa überdurchschnittlich stark.

Das führte dazu, dass Finnland, damals noch autonomes Großfürstentum im russischen Zarenreich, 1906 als erstes europäisches Land das allgemeine Frauenwahlrecht einführte. Norwegen, Dänemark inklusive seiner damaligen Kolonie Island folgten bald. Das Königreich Schweden hinkte damals noch etwas hinter seinen Schwesternationen – und manch anderem europäischen Land – hinterher. Dort kam das Wahlrecht für alle erst 1921 – da allerdings für Männer und Frauen gleichzeitig.

Anerkannte Vorreiter waren und sind die nordeuropäischen Staaten vielfach auch bei kreativen Berufen. Autorinnen wie Selma Lagerlöf, Astrid Lindgren, Edith Södergran und Karen Blixen brachten es früh zu Weltruhm.

Vor allem in Finnland mag der Zweite Weltkrieg zu einer Verbesserung der Situation für Frauen beigetragen haben. Das damals noch unter vier Millionen Einwohner zählende Land hatte in dieser Zeit einen hohen Blutzoll zu entrichten, der vor allem die männliche Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter traf.

Das trug laut Gesellschaftshistorikern maßgeblich dazu bei, dass in der Nachkriegszeit Frauen verstärkt in bis dahin hauptsächlich von Männern ausgeübten Berufen arbeiteten und überdies oft gleichzeitig alleinerziehende Mütter waren. Gesellschaft und Gesetzgebung passten sich dieser Situation rasch an.

Frauenquoten und Väterkarenz

Die gleichbleibend starke Frauenbewegung führte in den drei Kernländern Skandinaviens – Schweden, Norwegen und Dänemark – auch nach dem Krieg zur vergleichsweise frühen Einräumung diverser Frauenrechte und gesetzlicher Maßnahmen, die auf eine nachhaltige Gleichstellung der Geschlechter abzielten.

Während Norwegen zum Beispiel das erste Land war, das Frauen eine fixe Quote in den Vorständen von Börsenunternehmen einräumte und die Väterkarenz ("Papamonat") einführte, preschte Schweden kurz vor der Jahrtausendwende mit der einseitigen Kriminalisierung von Sexkunden vor. Ziel war damals, Prostitution langfristig aus der Gesellschaft zu verbannen. Obwohl von Norwegen und Island nachgeahmt, setzte sich diese Maßnahme weltweit bisher nicht durch. Dänemark, Finnland, aber auch andere Länder erwogen sie eine Zeitlang, verwarfen aber schließlich die Idee.

Es zeigte sich in der Folge, dass schwedische Sexkäufer aus Angst, erwischt zu werden, verstärkt in andere Länder auswichen. Das ging so weit, dass die baltischen Regierungen lautstark gegen die schwedische Politik protestierten, weil der Sextourismus über die Ostsee für diese Länder beinahe unerträgliche Ausmaße annahm. Die lettische Hauptstadt Riga muss sich trotz mittlerweile eingeführter Beschränkungen für Nachtklubs immer noch mit dem wenig schmeichelhaften Spitznamen "Bangkok des Nordens" herumschlagen.

Andere in Nordeuropa ersonnene Gleichstellungsinstrumente wie Frauenquoten in der Politik, verschiedene Familienmodelle, die Väter stärker und zum Teil bis zu 50 Prozent verpflichtend in die Betreuung der Kinder einbinden, erwiesen sich hingegen als Erfolge und setzen sich international nach und nach durch.

Erste feministische Regierung

Zuletzt war es erneut Schweden, das eine Pionierrolle einnahm, indem sich die 2014 gewählte rot-grüne Regierung hochoffiziell zur "ersten feministischen Regierung der Welt" erklärte. Das bedeutet unter anderem, dass Maßnahmen im Rahmen der Gleichstellungspolitik hohe Prioritätsstufe bei der Zuteilung von Budgetmitteln genießen.

Und trotzdem ist im Norden Europas nicht alles eitel Wonne. Kritiker – darunter auch Frauen – beschweren sich vor allem in Schweden immer wieder über eine gewisse Dogmenstarre und Probleme in der freien Diskussion und darüber, dass der gute Ruf dieser Länder zum Teil bloß auf einer systematischen Imagepflege beruht.

Neben der Problematik der Gesetzgebung in Sachen Prostitution ist eines der vorrangigen Ziele von Gleichstellungspolitik – gleiches Geld für gleiche Arbeitsleistung – in keinem der Länder bis heute auch nur annähernd erreicht. Die Lohnschere zwischen Männern und Frauen betrug im jüngsten umfassenden Ländervergleich in Dänemark, Norwegen und Schweden jeweils zwischen 15 und 16 Prozent – bei einem EU-Schnitt von 16,4 Prozent nur Plätze im besseren Mittelfeld. Island (18 Prozent) und Finnland (19,4 Prozent) lagen in der Studie 2014 sogar noch unter diesem Wert.

Dass Nordeuropa in den globalen Indizes zur Gleichstellung der Geschlechter insgesamt dennoch deutlich voranliegt, liegt an den übrigen eingangs erwähnten Kriterien. Dort können sich Politikerinnen und Politiker anderer Länder allerdings wohl durchaus noch die eine oder andere Anregung holen. (Andreas Stangl, 4.3.2016)