Wien – Der ORF-Stiftungsrat hat am Donnerstag in seiner vorletzten Sitzung vor der Wahl des ORF-Generaldirektors am 9. August die weitere Vorgangsweise für das Wahlprozedere bei der Bestellung des ORF-Chefs abgestimmt. Ein Rechtsgutachten soll nun Klarheit bringen, ob auch nach Ablauf der Bewerbungsfrist noch Nachnominierungen durch einzelne Stiftungsräte möglich sind.
Nachnominierungen 2006 und 2011 möglich
Bei den vergangenen ORF-Wahlen 2006 und 2011 waren bis sieben Tage vor der Wahl Nachnominierungen möglich. 2006 hatte der amtierende ORF-Chef Alexander Wrabetz von dieser Möglichkeit profitiert. Wrabetz gab seine Kandidatur erst nach Ende der Bewerbungsfrist bekannt und konnte so im Verborgenen seine Regenbogen-Koalition bilden. Ein ähnliches Szenario mit Last-Minute-Gegenkandidaten zu Wrabetz möchte die SPÖ dieses Mal offenbar lieber vermeiden. Die ÖVP ist für die Möglichkeit der Nachnominierung und sieht dafür auch das Gesetz auf ihrer Seite.
Prozedere für ORF-Wahl nach Rechtsgutachten
Punkto Rechtsgutachten herrschte am Donnerstag Konsens, eine eigene Abstimmung dazu war nicht nötig. Als Gutachter werden der Verfassungsrechtler Theo Öhlinger sowie Georg Lienbacher, seit 2011 Verfassungsrichter und davor auf einem ÖVP-Regierungs-Ticket auch Mitglied des ORF-Stiftungsrats, engagiert. Im Juni will der Stiftungsrat dann auf Basis des Gutachtens das endgültige Prozedere für die ORF-Wahl festlegen. "Es geht um die Frage des Handlungsspielraums für das Gremium", sagte Thomas Zach, Leiter des ÖVP-"Freundeskreises". SPÖ-"Freundeskreis"-Leiter Erich Fenninger hält die Einhaltung von Ausschreibungsfristen zwar für die "angemessene Vorgangsweise", will aber einen "breiten Konsens finden". Das Gutachten soll dafür valide Basis sein. Ähnlich der von der SPÖ ins Gremium entsandte Stiftungsratsvorsitzende Dietmar Hoscher: "Es gibt ernst zu nehmende unterschiedliche Rechtsmeinungen, deshalb holen wir dieses Gutachten ein. Das hat nichts mit Taktik zu tun."
Medienstandort Küniglberg
Neben der ORF-Wahl beschäftigte sich der Stiftungsrat am Donnerstag auch mit dem Medienstandort Küniglberg. Die ORF-Führung um Wrabetz und Finanzdirektor Richard Grasl hatte dazu im Herbst eine Kostenwarnung und einen inzwischen wieder aufgehobenen Planungsstopp bei Sanierung und Neubau des ORF-Zentrums verhängt, weil die Kosten bei der Sanierung des Hauptgebäudes höher ausfielen als erwartet. Nun wurde dem ORF-Gremium ein Maßnahmenkatalog für die weiteren Arbeiten im Standort-Projekt vorgelegt. Ziel ist es, das Budget von 303 Millionen Euro und den Gesamt-Terminplan einzuhalten.
So wird es etwa keine Generalsanierung aller Bestandsgebäude geben. Mit dem Bundesdenkmalamt werden Gespräche über kostensparende Kompromissvarianten intensiviert. Funktionsfähige Gebäude wie der 2001 errichtete ORF-Newsroom, die ursprünglich zum Abbruch vorgesehen waren, bleiben weitgehend erhalten. In der Ausstattung wird die Abbruchkante verschoben. Der NewsCenter-Neubau, der ab 2020 den trimedialen Newsroom beherbergen soll, wird auf das ursprünglich geplante Niveau dimensioniert. Die Gesamtkosten dafür betragen aus heutiger Sicht 75,1 Millionen Euro. Weitere Maßnahmen zur Kostendämpfung sind die Beibehaltung des Haupteingangs an der Standort-Südseite in der Würzburggasse, die Einrichtung eines zentralen Systemleitstands sowie die Bündelung von Service- und Konferenzzonen, die Raum für zusätzliche Arbeitsplätze freimacht.
Kontrollfunktion punkto ORF-Medienstandort
Vom Stiftungsrat wurden die strukturellen und planerischen Änderungen begrüßt. Zugleich will das Aufsichtsgremium seine Kontrollfunktion punkto ORF-Medienstandort stärker wahrnehmen. Am 2. Mai gibt es deshalb einen Sonder-Finanzausschuss. "Das Unternehmen ist auf einem sehr guten Weg, der mir auch von Bauexperten bestätigt wird", so Stiftungsratvorsitzender Hoscher. "Das Gesamtbudget hält und der Zeitplan auch", sagten Wrabetz und Grasl nach der Sitzung.
Golden Handshake für Manager Reinhard Scolik
Darüber hinaus beschäftigte sich der Stiftungsrat am Donnerstag auch mit dem goldenen Handshake für den langjährigen ORF-Manager Reinhard Scolik, der seit Anfang März Fernsehdirektor beim Bayerischen Rundfunk ist. Im Rahmen seines Abschieds sollte Scolik ursprünglich deutlich über eine Million Euro erhalten. Nun soll es etwas weniger, aber immer noch rund eine Million Euro sein. Einzelne Stiftungsräte übten Kritik an der Abfertigungshöhe, wo Scolik doch freiwillig in ein anderes Unternehmen gewechselt ist, und an der Genehmigung des Handshakes durch Alleingeschäftsführer Wrabetz. Dieser wollte zur Causa nichts sagen. "Wir haben Hunderte Dienstverhältnisse aufgelöst und nicht öffentlich kommentiert", erklärte der ORF-General.
Konkurrenz zu Wrabetz
Einstimmig angenommen wurde unterdessen die Übernahme einer Kuratoriumsfunktion bei Austria Wien durch Finanzdirektor Grasl, der für die Sitzung extra eine violette Krawatte trug. Grasl steht damit zumindest in fußballerischer Sicht in Konkurrenz zu ORF-Chef Wrabetz, der Mitglied im Kuratorium des Erzrivalen Rapid ist. ORF-Stiftungsratschef Hoscher, Vorsitzender des Rapid-Kuratoriums, stimmte dem Avancement Grasls ebenfalls zu. "Austria und Rapid brauchen einander. Außerdem war es die Milde des Tabellenführers", meinte Hoscher launig zum neuen violett-gün-weißen ORF-Derby. Er fördere gerne alles, was dem Klassenerhalt der Austria dient.
Das Ringen um die Wahl der neuen ORF-Führung geht ab Juni in die heiße Phase. Ende Juni wird der Posten ausgeschrieben. Der von der SPÖ unterstützte Wrabetz hat seine Wiederbewerbung bereits im Dezember angekündigt. Der von der ÖVP favorisierte Grasl wollte Spekulationen über eine mögliche Kandidatur bisher nicht kommentieren. 18 Stimmen sind im 35-köpfigen ORF-Stiftungsrat für eine Mehrheit notwendig. Die Mitglieder des Gremiums werden von Regierung, Parteien, Bundesländern, ORF-Publikumsrat und Betriebsrat beschickt und sind – abgesehen von wenigen Ausnahmen – in parteipolitischen "Freundeskreisen" organisiert. Die SPÖ kann derzeit auf 13 Vertreter zählen, der ÖVP-"Freundeskreis" umfasst 14 Mitglieder. FPÖ, Grüne, NEOS und Team Stronach haben je einen Stiftungsrat. Der von BZÖ/FPK bestellte und von der SPÖ-geführten Landesregierung verlängerte Kärntner Stiftungsrat sowie drei Unabhängige komplettieren das Gremium. Für die ORF-Wahl bedeutet diese Konstellation äußerst knappe Mehrheitsverhältnisse. (APA, 3.3.2016)