Groteske Szenen im Hause Puccio: Das Tischgebet dieser Familie gilt nicht jenen, die ihr in "El Clan" in die Hände fallen.

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Wien – Die Luft wird immer dünner. Alex sitzt mitten in der Nacht in seinem Laden für Surfer, an das Mundstück eines Sauerstoffgeräts gekoppelt. Sein Atem füllt den ganzen Raum aus. Zug um Zug saugt er in sich hinein, und doch gewinnt man dabei nicht den Eindruck, dass sich sein Zustand bessert. Die Panik steht ihm ins Gesicht geschrieben.

Alex (Peter Lanzani) ist der zweitälteste Sohn der Puccio-Familie. Eigentlich hätte er alle Bausteine für einen glücklichen Start in ein eigenes Leben in Griffnähe. Argentinien hat sich gerade aus der eisernen Faust der Militärdiktatur befreit und befindet sich 1983 auf dem unebenen Übergang zur Demokratie. Beim Rugby ist der junge Mann mit dem schulterlangen Haar bereits eine kleine Berühmtheit, bald wird er sich auch Hals über Kopf verlieben.

Wäre da nicht sein Vater. Arquímedes Puccio (Guillermo Francella) entstammt der Nomenklatura des alten Regimes, für das er lange die Schmutzarbeit erledigte und missliebige Kontrahenten verschwinden ließ. Die neuen Zeiten halten ihn nicht davon ab, diese Tätigkeit fortzusetzen. Allein die Ausrichtung hat sich ein wenig verschoben: Statt auf Regimegegner richtet sich sein Augenmerk nun auf die oberen Zehntausend.

Aufbruch und Untergang

Der argentinische Filmemacher Pablo Trapero hat mit dem Fall der Puccio-Familie ein Stück Realgeschichte verfilmt, das in seiner Heimat noch gut in Erinnerung ist. Das ist ein Grund dafür, dass sich der Film dort bereits im Sommer zu einem Kassenhit entwickelt hat. Der Erfolg hat aber auch mit dem ungewöhnlich dreisten Zugriff des Films zu tun, was ihm Vergleiche mit den Arbeiten von Martin Scorsese einbrachte. Trapero verbindet man als Vertreter des neuen argentinischen Kinos eigentlich mit veristischen Stilansätzen. El Clan kleidet er nun jedoch wie ein "period piece" ein, das sich stärker über Genreversatzstücke und seinen Look definiert.

Eklektisch ist vor allem die Musikauswahl, oft verleihen Crooning-, Pop- und Rocknummern den Szenen einen Drall, der sie in gegenläufige Richtungen lenkt. Am auffälligsten vielleicht in dieser Sequenz: Alex hat mit seiner Freundin im Auto hemmungslos Sex, parallel dazu wird einem Entführungsopfer der Garaus gemacht, während im Hintergrund ein lateinamerikanischer Punksong den Takt vorgibt. Bei Scorsese funktioniert die popkulturelle Durchdringung subtiler.

Die Szene ist aber auch noch in anderer Hinsicht bedeutsam. Sie zeigt, wie konsequent der Film das Nebeneinander von jugendlicher Lebenslust und eiskalter Gewalt auf die Spitze treibt. Aufbruch und Untergang wohnen hier im selben Haus, deshalb ist El Clan, so seltsam es klingen mag, im Herzen ein Familienfilm. Es gibt keine Instanz, die von außen eindringt, keinen Polizisten oder anderen Ermittler. "Geht es dir gut, Alex", fragt der Vater den Sohn, nachdem er gerade einen seiner Rugbykollegen im Kofferraum untergebracht hat. Jeder Anflug von familiärer Zuwendung hat hier schon eine perverse Note, weil das Eigenheim zugleich Versteck und Folterraum ist. Deshalb inszeniert Trapero die Szenen am Familientisch schon wie auf dem halben Weg zur Groteske.

Gier und Paranoia

Arquímedes Puccio wird immer wieder zentral ins Bild gerückt, manchmal sieht man zunächst nur seinen Hinterkopf, während die Kamera langsam auf ihn zufährt. Mit solchen visuellen Strategien erhöht der Film das Bewusstsein um die Allgegenwart dieser Figur. Der Vater ist auch -dann anwesend, wenn er abwesend ist – gleich einem Dämon, der auch aus dem Off in die Bilder hineinfährt.

In Guillermo Francella hat Trapero für diesen schwierigen Part einen in Argentinien sehr populären Schauspieler gewinnen können, der nun erstmals einen "bad guy" verkörpert. Er ist Brennpunkt des Films: Seine Augen sind von fast künstlichem Blau, sein jeder Emotion entleerter Blick durchdringend. Das Gewöhnliche liegt in dieser Figur ganz nah am Monströsen.

So gut El Clan die Darstellung des Familienalltags gelingt, so fahrig wirkt hingegen mitunter die Einordnung des mörderischen Geschehens in einen größeren politischen Zusammenhang. Wie alle Geschichten von Gier mündet auch diese am Ende in eine Phase der Dekadenz und Paranoia. Die Täter verlieren Rückhalt, sie lesen die Zeichen falsch. Die Puccios sind die Zombies eines Systems, in dem sich letztlich alle gegeneinander richten, einerlei, ob Familie oder nicht. (Dominik Kamalzadeh, 4.3.2016)