Wenn man den Charakter eines Hotels kennenlernen will, geht man in die Bar. Oder man trifft Susan im Savoy – das funktioniert aber nur in diesem Londoner Luxushotel. Susan Scott arbeitet als Archivarin für das Hotel, sie ist fest angestellt und die Gralshüterin vieler Geheimnisse, seltener Schätze und guter Geschichten.

Kofferträger Gucci

Da ist zum Beispiel die Anekdote von dem jungen italienischen Kofferträger, der im Savoy das Gepäck der Herrschaften schleppen musste. Er schaute ganz genau hin, was diese Leute anhatten und vor allem, welche Art von Handtaschen und Koffer sie bevorzugten. Der junge Mann hieß Gucci. Guccio Gucci. In den 1920er-Jahren eröffnete er in Florenz ein Lederwarengeschäft. Aus seinen Articoli da Viaggio sollte ein führender Modekonzern werden.

Das Savoy in London war das erste Hotel mit einem Lift. Und es war das erste Haus in der Stadt, in dem Frauen ohne männliche Begleitung essen gingen. Im Aufzug servierte man ihnen Brandy.
Foto: Fairmont Picture Library

Den Lift der Herrschaften durfte Gucci nicht benutzen. "Lift", das klingt heute so selbstverständlich. Tatsächlich war jener im Savoy der erste Aufzug in einem Hotel überhaupt. Diesen knallroten Lift gibt es heute noch, ausstaffiert mit Spiegel und Sitzbank. Damals wurde den Damen ein Brandy gereicht, so aufregend war die Fahrt.

Das Archiv ist tabu

Kein anderes Hotel der Welt bezahlt eine Hotelarchivarin dafür, solche Details zu kennen. Auf ihr Wissen griff schon eine ganze Reihe von Hoteldirektoren des Savoy zurück. "Natürlich konsultiert mich Mr. MacDonald bezüglich historischer Angelegenheiten", sagt Susan und fügt nicht ohne Stolz hinzu: "Ich weiß fast alles über das Haus." Schon 20 Jahre ist sie im Haus. Ihr Alter verrät sie nicht. Fotografieren lässt sie sich auch nicht. Und ein Blick in ihr Archiv ist tabu. "Ich habe sowieso das Meiste im Kopf", sagt sie.

Zusammen mit der goldenen Statue des Count Peter of Savoy, die seit 1904 vor dem Eingang steht, scheint die Archivarin darüber zu wachen, dass alles so bleibt, wie es einmal war.
Foto: Fairmont Picture Library

Immer wieder fragen Gäste bei Susan an, weil sie im selben Zimmer logieren wollen wie einst ihre Eltern. Manche von ihnen haben mitten im Zweiten Weltkrieg im Savoy geheiratet. Dann geht Susan zur Recherche in ihr Archiv, für sie ist es "a kind of a holy room", eine Art Heiliger Gral. Zusammen mit der goldenen Statue des Count Peter of Savoy, die seit 1904 vor dem Eingang steht, scheint sie darüber zu wachen, dass alles so bleibt, wie es einmal war. Auch die dreijährige Renovierung von 2007 bis 2010, die einzige Schließung in der gesamten Hotelgeschichte seit 1889, änderte die DNA des Hauses nicht wesentlich.

Charly Chaplin und seine Ehefrau Oona O’Neill auf dem Dach des Savoy.
Foto: Fairmont Picture Library

Die Reihe der illustren Gäste ist lang. "Neun von ihnen haben die Ehre, dass eine Suite nach ihnen benannt ist", sagt Susan und öffnet die Tür zur 718, der Charlie-Chaplin-Suite, die um 5000 Euro pro Nacht zu haben ist.

Neun Gästen des Savoy wurde die Ehre zuteil, dass eine Suite nach ihnen benannt ist, darunter Maria Callas oder Charly Chaplin.
Foto: Fairmont Picture Library

Geld scheint in diesem Haus ohnehin nur eine nebensächliche Rolle zu spielen: Da ist zum Beispiel die legendäre Gondel-Party. Per Blankoscheck beglich der "Champagnerkönig" George Kessler 1905 die Kosten für sein Geburtstagsfest, das das Motto "Venedig" trug. Dafür wurde der Lancaster-Saal geflutet, und die Gäste feierten in echten venezianischen Gondeln. Enrico Caruso sang dazu O sole mio, und ein Elefant trug die meterhohe Geburtstagstorte herein.

1905 wurde der Lancaster-Saal für den "Champagnerkönig" George Kesslergeflutet, damit die Gäste dort in echten venezianischen Gondeln feiern konnten.
Foto: Fairmont Picture Library

Später tagten Winston Churchill und seine Minister im Savoy, das Hotel hatte ja die ganze Zeit während des Zweiten Weltkriegs geöffnet. Diese Meeting-Tradition hat sich bis heute gehalten. In den Princess-Ida-Room kamen und kommen die Premierminister einmal im Monat zu inoffiziellen Gesprächsrunden. Eine Bildergalerie an der Wand zeigt Fotos von ihnen in Schwarz-Weiß, allerdings hört die Runde bei Tony Blair auf. Für Gordon Brown und David Cameron war kein Platz mehr.

Die Frauen des Savoy

Im Savoy gingen Londons begüterte Frauen erstmals ohne männliche Begleitung zum Essen aus, Marilyn Monroe schwang auf dem Parkett das Tanzbein, und Liz Taylor verbrachte dort ihren ersten Honeymoon. Natürlich fand auch der Krönungsball von Prinzessin Elisabeth und Prinz Philip dort statt. Twiggy hingegen wurde gebeten, wieder zu gehen, weil sie zu freizügig gekleidet war. Eine alte Diva, korrekt gekleidet, durfte dagegen samt Haustier einchecken: mit einem kleinen Krokodil.

Kaspar, the Cat, hat eine eigene Visitenkarte und wird bei dreizehn Gästen als vierzehnter am Esstisch platziert, um Unglück abzuwenden.
Foto: Fairmont Picture Library

Ein anderes Haustier genießt im Savoy längst Kultstatus: Kaspar, the Cat. Die Porzellankatze hat sogar eine eigene Visitenkarte, in der Lobby des Hauses wartet sie auf ihren nächsten Einsatz. Kaspar wird immer dann an einem Tisch platziert, wenn dort dreizehn Gäste sitzen. 1898 gab es im Savoy Grill nämlich eine Dinnerparty mit dreizehn Gästen. Kurz nach dem Essen wurde der Gastgeber erschossen. Seitdem gibt es im Savoy keinen Tisch mehr für dreizehn Personen. Kaspar ist immer der Vierzehnte in der Runde, mit eigenem Sessel, eigenem Gedeck und Serviette um den Hals.

Seit 2005 gehört das Savoy dem saudischen Prinzen Al-Walid ibn Talal Al Saud. Dürfe er mit der Tradition brechen und allein mit Kaspar dinieren, wenn ihm danach ist, wird Susan gefragt. "In diesem Fall wird der Direktor seine Archivarin wohl nicht um Rat fragen", antwortet sie. (Jochen Müssig, 6.3.2016)