Laut dem Entwurf der Schlusserklärung für den kommenden EU-Gipfel am Montag wollen die Staats- und Regierungschefs der EU die Flüchtlingsroute über den Balkan schließen.

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Der EU-Sondergipfel mit der Türkei am Montag in Brüssel und ein anschließendes Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs ohne den türkischen Premier Ahmed Davutoglu dürfte eine dramatische Wende in der bisherigen Politik bzw. im Umgang mit den Flüchtlingen und mit Migranten bringen. Das geht zumindest aus einer bisher noch geheimen Erklärung hervor, die Samstagabend zwischen den Regierungszentralen in den Hauptstädten abgestimmt wurde. In dem Papier, das dem STANDARD vorliegt, heißt es wörtlich: "Der irreguläre Strom von Migranten entlang der Westbalkanroute geht zu Ende. Diese Route ist ab nun geschlossen."

Feinabstimmung noch nötig

Die Schlusserklärung der EU-28 wird heute in Brüssel im Kreis der EU-Botschafter noch fein abgestimmt. Am Kern der Beschlüsse werde sich aber nichts mehr ändern, heißt es in Diplomatenkreisen. Viele der Maßnahmen, die sofort nach dem Treffen Zug um Zug umgesetzt werden, basieren auf Vereinbarungen, die mit der türkischen Seite abgeschlossen werden sollen. Trotz der Aufregungen um das Vorgehen der türkischen Regierung gegen eine Oppositionszeitung am Freitag, des Sturms der Redaktion durch Polizeieinheiten, geht man in Brüssel davon aus, dass Davutoglu am Montag erscheinen wird und die in den vergangenen Tagen ausgehandelten Agreements dann auch bestätigt werden.

Rückführungsabkommen mit der Türkei geplant

Kern dabei wird sein, dass die Türkei ab sofort bei der Kontrolle der EU-Außengrenzen in der Ägäis konstruktiv mitmacht und jene Migranten, die nicht auf Asyl in Europa hoffen können, im Zuge der Rückführung wieder aufnimmt. Geplant ist ein eigenes Rückführungsabkommen EU-Türkei, das ab 1. Juni in Kraft sein soll. Davor wird man auf Basis des bilateralen Abkommens von Griechenland operieren. Wie berichtet, soll auch der Aktionsplan EU-Türkei vorangetrieben werden. Die EU-Staaten verpflichten sich beim Sondergipfel dazu, das Resettlement – die direkte Übersiedlung syrischer Flüchtlinge aus der Türkei in EU-Staaten – zu beginnen.

Was nun die Maßnahmen auf dem Gebiet der Union betrifft, beschreibt die Erklärung der Regierungschefs in eindringlichen Worten ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die in den kommenden Wochen gesetzt werden sollen. Um die Folgen des Schließens der Balkanroute, den Stau von tausenden einströmenden Flüchtlingen aufzufangen, erklärt sich die EU bereit, "das Äußerste zu tun, um Griechenland in diesem schwierigen Moment beizustehen". Es handele sich um "eine kollektive Verantwortung der Gemeinschaft, die die schnelle und effiziente Mobilisierung aller verfügbaren Mittel erfordert", aber "auch die Beiträge der Mitgliedstaaten".

Eine Milliarde für die Flüchtlingshilfe

Der von der EU-Kommission vergangene Woche angeworfene "Notfallplan" für humanitäre Hilfe wird von den Regierungschefs vorbehaltlos unterstützt. Dafür sind 700 Millionen Euro vorgesehen, 300 Millionen im Jahr 2016. Der Ministerrat solle den Plan noch vor dem nächsten EU-Gipfel am 18. März beschließen und auf den Weg bringen, heißt es in der Erklärung. Gemeinsam mit allen bisher beschlossenen Maßnahmen könnten also in den kommenden Monaten gut eine Milliarde Euro von der EU in die Flüchtlingshilfe fließen.

Frontex stärken

Das zweite große Thema ist die Sicherheit. Die EU wird über ihre Grenzschutzbehörde Frontex sofort weitere Beamte nach Griechenland schicken, die an den Grenzen zu Mazedonien und Albanien tätig sein werden. Auch sollen sie dafür sorgen, dass die Erstaufnahmezentren (Hotspots) in Griechenland funktionieren, wo die Flüchtlinge ersterfasst und für die Aufteilung an EU-Staaten vorbereitet werden, wo sie ordentliche Asylverfahren bekommen sollen. Bis 1. April spätestens sollen die EU-Staaten weitere, über bisherige Zusagen hinausgehende Beamte für Frontex zur Verfügung stellen. Europol soll den Kampf gegen Schmuggler verstärken. Beim März-Gipfel in zehn Tagen soll das Fortkommen evaluiert werden.

Flüchtlinge auf EU-Länder aufteilen

Bis dahin hoffen die Regierungschefs gemäß ihrer Erklärung auch darauf, dass das bisher nicht in Gang gekommene "Aufteilungsprogramm" von 160.000 Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten funktioniert. Es ist offenbar mit Rücksicht auf unwillige Staaten in Osteuropa geplant, dass nicht alle Länder gleichzeitig mit der "Relocation" durchstarten müssen. Denn in dem Geheimpapier ist auch die Rede davon, dass manche Staaten aufgefordert sind, freiwillig höhere Quoten von Flüchtlingen anbieten können als vorgesehen. Auf jeden Fall müsse die Last für Griechenland gelindert werden, wenn weiter Migranten ins Land kommen.

Schließlich will der EU-Gipfel dafür Sorge tragen, dass es bis Jahresende zu "einem Zurück zu Schengen" kommt. Bis dahin spätestens sollen gemäß den jüngsten Vorschlägen der EU-Kommission die Kontrollen an den Binnengrenzen, wie sie derzeit in acht Staaten durchgeführt werden, wieder der Vergangenheit angehören. (Thomas Mayer aus Brüssel, 5.3.2016)