Der türkische Premier Ahmet Davutoglu (links) mit dem türkischen EU-Minister Volkan Bozkir und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel. Wie die EU gemeinsam mit der Türkei in der Flüchtlingskrise vorgehen will, darüber konnten sich die 28 EU Staats- und Regierungschefs erneut nicht einigen.

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Der türkische Ministerpräsident Davutoglu (li.) mit Donald Tusk und Jean-Claude Juncker.

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Brüssel – Mit dem Vorstoß der Türkei, im Austausch gegen weitreichende Zugeständnisse alle neu ankommenden Flüchtlinge aus Griechenland zurückzunehmen, will die EU die Migrationskrise überwinden. Wenn der Vorschlag wie am Montag vereinbart beim nächsten Gipfel in zehn Tagen beschlossen und dann umgesetzt werde, sei das "der Durchbruch", sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zum Abschluss des EU-Türkei-Gipfels.

"Die Tage irregulärer Einwanderung sind vorüber", sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk in der Nacht auf Dienstag nach Ende des Gipfels. In den Schlussfolgerungen wird der Vorschlag "herzlich begrüßt"; alle 28 EU-Staaten erklärten, dass sie die Eckpunkte mittragen. Tusk soll bis zum nächsten Gipfel die Feinheiten ausarbeiten.

"Ende des Durchwinkens"

Der EU-Gipfel hat nach Worten von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) ein Ende des Durchwinkens auf der Balkanroute bekräftigt. Faymann sagte, der Gipfel habe zur Türkei "einiges vom Grundsatz her angenommen". Der genaue Inhalt sei noch auszuverhandeln und soll beim nächsten Gipfel vorgelegt werden. Die einfachste Zeit sei jene des "Durchwinkens" von Flüchtlingen gewesen. Aber "wir sind nicht dazu da, es jemandem leicht zu machen, sondern um Ordnung zu schaffen". Ohne den "klaren Aufschrei und den Weckruf Österreichs wäre es nicht zu dieser Dichte an Besprechungen gekommen und auch nicht zu der klaren Entscheidung, dass das Ende des Durchwinkens ein Ende der (Balkan-)Route bedeutet".

Tageskontingente bleiben

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) sagte am Dienstag vor dem Ministerrat, dass man die Tageskontingente trotzdem beibehalten werde. Das Ergebnis des Gipfels sei "höchstens ein ganz kleiner Schritt in die richtige Richtung". Die Tageskontingente bei der Aufnahme würden daher beibehalten.

Das Ziel ist für die Innenministerin eine "schnelle, große Lösung" auf EU-Ebene, was die Lösung des Flüchtlingsproblems betrifft. In den kommenden Tagen würde nun jeder einzelne Punkt des Gipfels abgearbeitet werden, um einen Beschluss herbeizuführen. Österreich bleibe jedenfalls auf der aktuellen Linie. "Wir werden keinen Millimeter abweichen von unseren Positionen", betonte Mikl-Leitner.

Bei einer EU-weiten Verteilung der Asylsuchenden sieht Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) Österreich nicht in der Pflicht. "Ich würde derzeit die Aufnahme nicht für Österreich sehen", meinte er dazu und weiter: "Derzeit sind ganz klar andere Staaten gefordert." Österreich habe sehr viele Asylsuchende, zeigte sich Doskozil mit Mikl-Leitner weiter auf einer Linie. Auch der Verteidigungsminister sieht die Einführung von Grenzkontrollen nach dem Gipfel als bestätigt.

Balkanroute nicht "geschlossen"

In der Abschlusserklärung wurde jedoch die Formulierung gestrichen, dass die Westbalkanroute für Migranten geschlossen sei. EU-Diplomaten zufolge hatten sich Merkel und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker gegen diesen Satz ausgesprochen. Stattdessen wird nur festgestellt, dass der Migrationsstrom über die Westbalkanroute zum Erliegen gekommen ist.

Der slowenische Premier Miro Cerar hat nach dem EU-Gipfel in Brüssel am Montag hingegen erklärt, die Balkanroute existiere nicht mehr, auch wenn der Abschlusstext des EU-Türkei-Gipfels die Schließung der Route nicht explizit erwähnt.

Slowenien setzte sich laut Cerar für die ursprüngliche Formulierung stark ein. Trotz neuer Formulierung sei dies "eine klare Botschaft an alle Schlepper und illegale Migranten, dass die Balkanroute nicht mehr existiert, dass sie geschlossen wird", sagte Cerar.

"Das bedeutet, dass die Länder entlang der Route alle illegalen Migranten zurückweisen werden", erklärte der slowenische Premier. Slowenien wird laut Cerar ab Montag bzw. Dienstag die Schengen-Regel konsequent anwenden und nur noch Personen mit entsprechenden Dokumenten die Einreise erlauben. Für alle, die in Slowenien um Asyl ansuchen werden, werden die erforderlichen Verfahren durchgeführt, hieß es.

Davutoglus Vorstoß

Mit einem überraschenden Vorstoß hatte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu den Gipfel völlig überrumpelt. Am Sonntagabend sei er "mit einem Zettel" zu einem Treffen Merkels mit dem niederländischen Regierungschef und amtierenden Ratsvorsitzenden Mark Rutte in Brüssel gekommen, schilderte die deutsche Kanzlerin. Darauf habe er seinen "qualitativ neuen" Vorschlag zusammengefasst, weil er nicht mehr daran geglaubt habe, die illegale Migration mit den bisherigen Maßnahmen stoppen zu können. Das späte Eintreffen des Vorschlags habe die Dinge erschwert, sagte die Kanzlerin, aber "lieber jetzt als gar nicht".

Türkei nimmt Flüchtlinge zurück

Der Plan sieht vor, dass die Türkei ab einem bestimmten Zeitpunkt alle neuen Flüchtlinge aus Griechenland zurücknimmt. Die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge, die sich darunter befinden, will sie dann weiter in ihre Herkunftsländer abschieben. Für jeden illegal in die EU eingereisten Syrer, den Ankara aus Griechenland zurücknimmt, soll die EU einen der 2,7 Millionen Syrer aufnehmen, die schon in der Türkei leben.

Wenn sich die gefährliche Reise durch die Ägäis nicht mehr lohne, weil es nach der Ankunft in Griechenland gleich zurück in die Türkei gehe, könne dies mit den anderen getroffenen Maßnahmen "die Illegalität verschwinden lassen", sagte Merkel. Es werde für Syrer "keine Anreize mehr geben, Schmuggler zu bezahlen", sagte EU-Kommissionschef Juncker.

Für die Flüchtlingsrücknahme stellte Ankara weitreichende Forderungen: drei Milliarden Euro zusätzliche Unterstützung für syrische Flüchtlinge für 2018; die frühestens für den Herbst vorgesehene Visa-Freiheit für türkische Bürger soll spätestens ab Juni kommen; und in den Beitrittsverhandlungen sollen umgehend fünf neue Kapitel eröffnet werden. In der Abschlusserklärung des EU-Gipfels heißt es, die schon zugesagten drei Milliarden Euro für die Türkei zur besseren Versorgung von Flüchtlingen sollten zügig ausgezahlt werden. Zudem werden weitere Finanzmittel in Aussicht gestellt, eine konkrete Summe wird aber nicht genannt.

UNHCR-Chef: "Erhebliche Bedenken"

Der UNO-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, hat sich kritisch zu dem geplanten Flüchtlingsdeal mit der Türkei ausgesprochen. "Ich habe erhebliche Bedenken hinsichtlich einer Regelung, die Menschen zurückschickt , ohne dass alle Bestimmungen des Flüchtlingsschutzes und des Völkerrechtes gewährleistet sind", sagte Grandi am Dienstag im EU-Parlament in Straßburg.

Grandi forderte von der EU, dass "Hochrisikokategorien" für Menschen geschaffen werden, die nicht zurückgeschickt werden. Außerdem verwies er darauf, dass die Türkei bereits fast drei Millionen Flüchtlinge aufgenommen habe. Er hoffe, dass weitere legale Einreisemöglichkeiten nach Europa über "Resettlement" geschaffen werden, auch für anerkannte Flüchtlinge im Libanon und in Jordanien. (APA, 8.3.2016)