Das Parlament in Teheran ist nach der Wahl nicht wiederzuerkennen.

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Teheran – Die Wahl von 14 Frauen beim ersten Wahlgang, acht sogar in Teheran, schlägt im Iran große positive Wellen und ermuntert andere Frauen, aus der Deckung herauszukommen und ihre kritische Stimme bei Ungerechtigkeiten gegen Frauen in aller Öffentlichkeit kundzutun. 14 gewählte Frauen, die ab Juni im neuen Parlament sitzen, könnten noch mehr Wellen schlagen und ihre Stimme erheben, weil noch 17 Frauen in Wartestellung sind und auf den zweiten Wahlgang Ende März warten.

Die neuen Parlamentarierinnen unterscheiden sich grundsätzlich von den bisherigen Kolleginnen im Parlament. Sie sind im Gegensatz zu den bisherigen zurückhaltenden Parlamentarierinnen, die keine einzige frauengerechte Gesetzesvorlage eingebracht haben, jung, dynamisch und selbstsicher und haben alle ein abgeschlossenes Studium und sprechen mindestens eine Fremdsprache. Kein Wunder, dass sie ein Dorn im Auge so mancher konservativer Parlamentarier sind. So meinte zum Beispiel der konservative Abgeordnete Nader Ghasipour aus der Stadt Eromiehe in einer im Internet bekannt gewordenen Rede, dass die Frauen im Parlament nichts zu suchen haben. Seine Unterstellungen und Beleidigungen schlugen im Iran große Wellen, und es wurden Forderungen laut, sein Mandat abzuerkennen.

Große Unterschiede

Ein Blick auf die Statistiken zeigt, dass das neue Parlament sich enorm von den bisherigen Legislativen unterscheidet. Mehr als 80 Prozent der bisherigen Parlamentarier wurden abgewählt, unter ihnen manche, die über mehrere Legislaturperioden hinweg im Parlament vertreten waren und zum harten Kern der Konservativen zählten. Nur 29 von 290 bisherigen Parlamentariern konnten ihr Mandat behalten. Keiner der ehemaligen Minister oder Vizeminister unter Expräsident Mahmud Ahmadi-Nejad hat ein Mandat bekommen. Alle gewählten Kandidaten in Teheran gehören zur Liste der Reformer.

Gholamali Hadadadel, Spitzenreiter der konservativen Liste in Teheran, wurde 31. und blieb damit weit entfernt von der kommenden Legislative, obwohl er mit dem religiösen Führer verwandt ist – seine Tochter ist mit dessen Sohn verheiratet. Er hatte sich vor den Wahlen gute Chancen ausgerechnet, im neuen Parlament als Sprecher zu fungieren.

Von mehr als 1.000 Bewerbern in Teheran haben manche weniger als zehn Stimmen bekommen. Die vier Letzten haben nicht einmal einen Wahlzettel mit ihren Namen in der Wahlurne gehabt, anscheinend haben nicht einmal sie an sich selbst geglaubt. Sie wurden aber vom Wächterrat im Gegensatz zu bekannten Reformern zu den Wahlen zugelassen. Mehrere radikale Ahmadi-Nejad-Anhänger, die im Parlament sitzen, bekamen weniger Stimmen als so manche unbekannte unabhängige Kandidaten.

Die Statistiken, die bisher bekannt geworden sind, untermauern eine Tatsache, die den konservativen Medien nicht passt: Die konservativen Medien behaupten nämlich weiterhin, dass, obwohl die Reformer in Teheran die Wahl gewonnen haben, auf dem Land die Konservativen führend seien – aber die endgültigen Zahlen sprechen eine andere Sprache. 84 Reformer gegenüber 63 Konservativen, dazu kommen 75 Unabhängige, die allen Anzeichen zufolge im neuen Parlament aus der Deckung herauskommen und sich meistens auf die Seite der Reformer schlagen.

Karten neu gemischt

Auch beim Expertenrat wurden die Karten neu gemischt. Der Vorsitzende Ayatollah Mohammad Jazdi und der geistige Vater Ahmadi-Nejads, Ayatollah Mohammadtaghi Mesbah Jazdi, bekamen nicht genug Stimmen, um nochmals in den Expertenrat einzuziehen. Ayatollah Ahmad Jenati wurde 16. und konnte als Letzer gerade noch seinen Sitz im Expertenrat behalten.

Die kritischen Stimmen wegen des Auswahlverfahrens des Wächterrats und der ablehnenden Haltung des Wächterrats gegenüber den Reformern werden auch immer lauter. Die Medien im Iran reden mehr oder weniger von einem Referendum statt von Wahlen, was im Grunde genommen auch realistisch klingt. Der Sprecher des Wächterrats, Najibolah Abrahimian, hat in einem Interview, die Art und Weise, wie der Wächterrat mit Kandidaten umgegangen ist, scharf kritisiert und seinen Rücktritt angeboten. Er hinterfragte, wie man innerhalb von zehn Tagen Unterlagen von 12.000 Kandidaten überprüfen könne und warum eine einzige Person, nämlich Ayatolla Ahmad Jenati, die Vollmacht gehabt habe, über jeden Kandidaten zu entscheiden.

Wenn die 10. Legislative Anfang Sommer zusammentritt, kann man mit noch mehr Überraschungen rechnen. Die Analysen der Wahlergebnisse zeigen deutlich, dass die Reformer jetzt vollen Wind in den Segeln haben. Um jede Provokation seitens der Konservativen zu vermeiden und die unterlegenen Kandidaten nicht zu provozieren, haben die Menschen im Iran und auch Regierungsmitglieder keine Siegerfeierlichkeiten veranstaltet. Aber die klammheimliche Freude über die Niederlage mancher radikaler Konservativer war auf der Straße deutlich sichtbar und vor allem im Internet nachzulesen. (Amir Loghmany, 8.3.2016)