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Das chinesische Militär beweist seine Macht über Tibet bei der 50-Jahr-Feier der Gründung des Autonomen Gebiets Tibet (TAR) im Sommer 2015 in Lhasa.

Foto: AP

Lhasa/Wien – Die meisten Tibeter kennen zwar ihr Geburtsjahr, aber an welchem Tag sie geboren sind, wissen sie oft nicht. Für Ausweise geben viele stattdessen den 10. März als Geburtsdatum an. An diesem Tag begann 1959 der tibetische Aufstand gegen die chinesische Herrschaft in Lhasa. Die ursprünglich friedliche Massenversammlung weitete sich rasch zu einem offenen Gefecht aus und kostete laut Angaben der Exilregierung über 80.000 Menschen das Leben.

Fast alle größeren Anti-China-Demonstrationen fanden seitdem um den 10. März statt: Das war 1989 so und auch beim bisher letzten Aufstand 2008. Als am 10. März vor acht Jahren Mönche der zwei Klöster Sera und Drepung auf die Straßen Lhasas gingen, waren alle lokalen Machthaber in Peking. Dort fand, so wie auch jetzt wieder, der alljährliche nationale Parteikongress der regierenden Kommunisten statt.

Machtvakuum in Lhasa als Risiko

Die Demonstranten nutzten das Machtvakuum, das die Provinzchefs, die sonst in Tibet Chinas Interessen vertreten, zurückgelassen hatten. Letztere vertrauten auf politische Stabilität in Tibet, wohin in den Jahren davor Unsummen an Geldern geflossen waren. Dennoch kam es zu Sitzprotesten von Mönchen, die schließlich in gewalttätige Ausschreitungen eskalierten, vor allem gegen Han-Chinesen. Die Machthaber hatten sich verrechnet. Es brauchte Tage, bis die chinesische Regierung wieder die Kontrolle über alle Teile Lhasas hatte.

Diesen Fehler machen die Machthaber seitdem nicht mehr. Schon 2008 folgten auf die Proteste Massenverhaftungen und Verhöre. Seitdem ist Lhasa dicht. Eine große Sicherheitsoffensive räumte in der Stadt auf, Gangs wurden zerschlagen, das Netz der Polizeistationen wurde während der vergangenen Jahre verdichtet. Nur durch Sicherheitsschleusen wie am Flughafen kommt man ins Zentrum der Stadt.

TAR für ausländische Touristen gesperrt

Für ausländische Touristen gelten strenge Reisebestimmungen: Sie dürfen nur mit eigenem Fremdenführer und eigenem Fahrer reisen und nur in ausgewählten Hotels unterkommen. Die Reiseroute muss vorab bekannt und genehmigt werden. Viele Regionen sind, je nach politischer Lage, ganz gesperrt.

Im März, dem politisch sensibelsten Monat, werden seit 2008 überhaupt keine Touristen nach Lhasa gelassen. Wie schon in den vergangenen Jahren ist die TAR (Autonomes Gebiet Tibet) seit 26. Februar 2016 für Touristen geschlossen. Voraussichtlich werden erst wieder ab April Touristen ins Land gelassen.

Selbstverbrennungen gehen weiter

Innerhalb und außerhalb Tibets greifen manche Tibeter zur drastischen Maßnahme der Selbstverbrennung, um gegen die chinesische Vorherrschaft zu protestieren. Seit dem harten Durchgreifen der chinesischen Machthaber in der TAR stieg die Zahl der Selbstverbrennungen auf 145.

In den vergangenen zwei Wochen haben sich wieder zwei Tibeter angezündet. Der 18-jährige Mönch Kalsang Wangdu verbrannte sich am 29. Februar in Nyarong in Osttibet (Distrikt Sichuan) und rief nach tibetischer Unabhängigkeit. Er erlag am Weg zum Spital seinen Verletzungen.

In Indien zündete sich am selben Tag der 16-jährige Schüler Dorje Tsering in einer tibetischen Siedlung in Herbertpur (Nordindien) an. Auch er verstarb wenige Tage später. Kurz vor seinem Tod veröffentlichte er eine Video-Botschaft: "Der Grund, warum ich mich wie eine Butterlampe angezündet habe, ist, dass Tibet seit 1959 besetzt ist", erklärte er. "Gestern hatte ich das Gefühl, dass es mein einziger Ausweg ist, mich zu verbrennen."

Die amerikanische Präsidentschaftsbewerberin und Ex-Außenministerin Hillary Clinton sprach persönlich ihr Beileid aus und versprach, dass Tserings Opfer nicht umsonst gewesen sein soll.

Hillary Clinton hält ein Bild des verstorbenen Dorje Tsering in die Kamera.

In Ngaba wiederum, im Norden Tibets, wurde am 3. März die 33-jährige Bhumo Manga verhaftet. Ihr Vergehen: Sie hielt auf einem Markt ein Porträt des Dalai Lama hoch. Bilder des Dalai Lama sind in ganz Tibet verboten. Dazu rief Bhumo Manga Slogans gegen die Besetzung Tibets durch China. Wo sie sich nun aufhält und wie es ihr geht, ist nicht bekannt.

Weitere Problemzonen Chinas

Unterdessen schätzt Zhang Chunxian, der regionale Parteichef der zweiten "Problemzone Chinas", nämlich Xinjiang, die Lage in seiner Provinz als stabil ein. In den vergangenen Jahren ist es dort ebenfalls immer wieder zu gewalttätigen Ausschreitungen gekommen, in diesem Fall zwischen Han-Chinesen und Uiguren. Tibeter dürfen daher oft nicht nach Xinjiang fahren – und vice versa. Am Rande des Parteikongresses in Peking sagte Zhang vor Journalisten, dass die Zahl der "terroristischen Zwischenfälle" in Xinjiang "deutlich zurückgegangen" sei. (Anna Sawerthal, 9.3.2016)