Transgendermodel Rain Dove in Pose. Im Schwedischen steht für Transgenderpersonen das Pronomen "hen" zur Verfügung.

Foto: APA/AFP/JUSTIN TALLIS

Schwedens erstes Kinderbuch, in dem durchgehend das Pronomen "hen" verwendet wurde, erschien 2012. Seit 2015 ist das Wort im schwedischen Wörterbuch zu finden.

Foto: Olika Verlag

Vor einigen Jahren sorgte das Pronomen "hen" – eine Mischung aus "han" (er) und "hon" (sie) – in Schweden für Aufregung. Die große Debatte sei nun beendet, sagt die Sprachwissenschaftlerin Karin Milles und spricht von einer breiten Verwendung des Wortes.

STANDARD: Wann und wieso trat "hen" in Schweden erstmals in Erscheinung?

Milles: Es wurde wohl bereits in den 1950er-Jahren verwendet, dafür gibt es allerdings keine eindeutige Bestätigung. Mit Sicherheit wurde es aber in den 1960er-Jahren in einigen Zeitungsartikeln gefunden und damals als geschlechtsneutrales Pronomen verwendet, wenn das Geschlecht nicht relevant oder unbekannt war. Es hat sich aber nie wirklich durchgesetzt. Es gab zwar einige Diskussionen darüber, aber die für Sprachplanung zuständigen Behörden fanden, es sei nicht möglich, ein neues Pronomen in das bestehende System einzuführen.

STANDARD: Wann hat sich dieses Denken verändert?

Milles: Nach der Jahrtausendwende, um das Jahr 2006 herum, etablierte sich eine neue Art und Weise, "hen" zu benutzen. LGBTQ-Kreise oder Transsexuelle verwendeten es für Intergender- oder Transgender-Personen, die man nicht als "er" oder "sie" bezeichnen wollte. Auch in feministischen Magazinen und Zeitungen tauchte es dann immer öfter auf – vor allem um deutlich zu machen, dass das Geschlecht nicht immer relevant ist.

STANDARD: Gab es dafür einen Auslöser?

Milles: Eigentlich nicht, als Teil des politischen Kampfes fragte man sich einfach, warum es kein Pronomen gibt, das nicht auf das Geschlecht verweist. Generell gab es im schwedischen Feminismus in den vergangenen zehn Jahren ein größeres Interesse an Sprache und Diskurs – eine Art sprachkritische Wende in der gesamten politischen Bewegung.

STANDARD: 2012 erschien dann das Kinderbuch "Kivi och Monsterhund", in dem der Autor Jesper Lundqvist durchgehend das Wort "hen" benutzte.

Milles: Das war ein Teil einer geschlechtsneutralen pädagogischen Ideologie: Kinder so zu erziehen, dass sie sich nicht zu typischen Männern oder Frauen entwickeln, sondern ihnen zu erlauben, ihre Individualität auszudrücken. Dieses Kinderbuch war eines der großen öffentlichen Statements, es löste eine große Debatte aus. Damals sind auch die Medien darauf aufgesprungen.

STANDARD: 2012 gab es vonseiten der Schwedendemokraten eine stark ablehnende Haltung dazu. Welche Auswirkungen hatte das?

Milles: Sie waren sehr deutlich in ihrer Position, dass sie "hen" niemals benutzen wollten. Die Debatte veränderte sich danach, es wurde auch irgendwie trendy, "hen" zu verwenden. Es war ein Weg zu sagen: Ich bin nicht rassistisch, ich bin aufgeschlossen, ich bin für Geschlechtergerechtigkeit, ich bin kein Schwedendemokrat.

STANDARD: Wie häufig wird es heute verwendet und in welchen Bereichen?

Milles: Man findet es zum Beispiel in Zeitungen und in der Werbung, an Schulen und Universitäten. Auch verstärkt in Büchern, in denen die Autorinnen das Geschlecht einer Figur nicht vorwegnehmen wollen. Es wird heute eigentlich fast überall verwendet. 2012 war das noch nicht möglich, weil Menschen sehr verärgert reagierten. Auf der Webseite eines großen Fernsehunternehmens kam "hen" damals vor – und sie mussten die Webseite ändern, weil Menschen in den Kommentaren sehr, sehr aggressiv wurden. Heute kann man es verwenden, und den meisten Leuten scheint es egal zu sein.

STANDARD: Wie viele Menschen nutzen es im Alltag?

Milles: Es gibt, soweit ich weiß, keine Studie, die die individuelle Verwendung der durchschnittlichen Schwedin oder des durchschnittlichen Schweden untersucht hat. Ich habe vor einigen Jahren innerhalb einer Studie die Verwendung von "hen" in Zeitungen, politischen Texten und Papers von Studierenden untersucht. Am meisten wurde es in den Papers von Studierenden benutzt, in einem von zehn Texten kam es vor. Auch in mindestens einer der vier größten Tageszeitungen fand man "hen". Mittlerweile hat sich das ausgeweitet und es sind vielleicht zwei von vier.

STANDARD: In welchen Teilen der Zeitungen?

Milles: Hauptsächlich im Kulturteil. Aber auch immer wieder bei Unfallopfern, zum Beispiel "Hen wurde ins Krankenhaus gebracht", um nicht das Geschlecht vorwegzunehmen.

STANDARD: Gibt es Bereiche, in denen es Vorschrift ist, "hen" zu benutzen?

Milles: Man kann Menschen nicht vorschreiben, es zu verwenden, es ist absolut optional. Es gibt immer noch Leute, die sich über "hen" ärgern, es ist nur nicht mehr die Mehrheit, es gibt keine große Debatte mehr. Man kann sich immer für andere Wege entscheiden, um sich auszudrücken – außer natürlich, wenn eine Person ausdrücklich mit "hen" bezeichnet werden will, dann sollte man das respektieren.

STANDARD: Was wurde und wird an "hen" kritisiert?

Milles: 2012 gab es Sorge darüber, was "hen" in der binären Geschlechterordnung anrichten könnte. Absurde Gedankengänge wie jener, wenn wir das Geschlecht bei den Pronomen weglassen, könnte die Abschaffung des männlichen und des weiblichen Geschlechts in der Gesellschaft insgesamt drohen. Andere meinten, wir hätten in der schwedischen Sprache seit mindestens 400 Jahren die gleichen Pronomen, es sei nicht möglich, ein neues zu erfinden und in das System einzugliedern. Auch das Argument, dass es seltsam aussehe und man es nicht verstehen würde, kam auf. Dieses kann ich nachvollziehen, denn damals war es ein neues Wort. Aber heute kennt es jeder. Nicht alle mögen es – aber alle kennen es.

STANDARD: Halten Sie es persönlich für sinnvoll? Benutzen Sie es im Alltag?

Milles: Ich halte es für sinnvoll. Am Anfang war ich sehr vorsichtig, es zu verwenden, da ich von Menschen dafür angegriffen wurde. Wenn ich im Unterrichtssaal stand und gewusst habe, dass 20 Prozent der Anwesenden aggressiv und zornig werden, wenn ich es benutze, dann habe ich es nicht gemacht. Jetzt ist aber nur noch vielleicht ein Studierender wirklich dagegen.

STANDARD: Warum ist Sprachwandel zumeist ein so enorm umstrittenes und emotionales Thema?

Milles: In diesem Fall ist es die Verbindung zur Debatte über Gleichberechtigung der Geschlechter und zum Feminismus – das ist kontrovers. Es ist auch ein andauernder politischer Kampf über die Rechte Transsexueller, Frauenrechte und Gleichberechtigung. Sprache ist hier eine Waffe. Außerdem kochen in jeder linguistischen Debatte die Emotionen hoch, weil Sprache so eng mit uns verbunden ist. (Noura Maan, 13.3.2016)