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Hunderte Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser landeten nach dem Atomunfall von Fukushima im Meer. Doch schon ein Jahr später zeigten Messungen, dass die meisten Fische den Grenzwert bereits unterschritten. Nur jene Meeresbewohner, die nahe dem Grund leben, waren noch problematisch, da Radioisotope sich vor allem auf dem Meeresboden angesammelt hatten.

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Georg Steinhauser erforscht die Folgen von Fukushima.

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Wien – Seit dem Unfall im Kernkraftwerk Fukushima I im Jahr 2011 hat die japanische Fischwirtschaft mit extremen Einbußen zu kämpfen. In den Regionen, wo nach dem Unfall ein Fischereiverbot ausgesprochen wurde, ging der Umsatz von elf Milliarden Euro im Vorjahr auf ein Zehntel dessen zurück. Das Einleiten von kontaminiertem Wasser ins Meer bewirkte eine enorme Freisetzung radioaktiver Stoffe, die in den ersten Wochen noch 30 Kilometer vor der Küste zu Grenzwertüberschreitungen führte.

In den Folgejahren sorgte die Inhaberfirma des Kernkraftwerks, Tepco, für Schlagzeilen: Man ließ täglich rund 300 Tonnen kontaminiertes Wasser ins Meer fließen, um das Grundwasser nicht zu verschmutzen. Da ist es wenig verwunderlich, dass sich Behörden und Bevölkerung bis heute Sorgen darum machen, welche Lebensmittel man risikofrei zu sich nehmen kann – besonders wenn sie aus dem Meer kommen. Dies betrifft nicht nur Japan: An der Westküste Amerikas wurden Fische mit erhöhten Werten der radioaktiven Isotope Cäsium 134 und 137 gefangen. Ersteres ist ein Hinweis darauf, dass die Kontamination tatsächlich vom Fukushima-Vorfall stammt und nicht von Kernwaffenversuchen im Pazifik.

Studien untersuchten, wie schnell radioaktive Stoffe abgebaut wurden, kamen aber teilweise zu widersprüchlichen Ergebnissen. 2012 unterschritten die meisten Fische allerdings bereits den Grenzwert. Die Messwerte jener Meeresbewohner, die nahe dem Meeresgrund leben, waren noch problematisch, denn Radioisotopen hatten sich vor allem auf dem Meeresgrund angesammelt; daher waren 40 Prozent dieser Fische kontaminiert.

Die jüngste Studie stammt von Hiroshi Okamura vom Institut für Fischereiwissenschaften in Kanagawa. Mit seinen Kollegen fand er heraus, dass die derzeitige Fischbelastung mit Cäsiumisotopen sehr gering ist. In bestimmten wildlebenden Süßwasserfischen und -krustentieren sei das Risiko jedoch noch erhöht, wie die Autoren im Fachblatt PNAS schreiben. Der Grund: Süßwasserfische haben längere biologische Halbwertszeiten als Salzwasserfische, da Letztere nicht aktiv Ionen aus der Umgebung aufnehmen müssen, um den osmotischen Druck zu regulieren.

"Seit April 2015 ist kein einziger gemessener Fisch mehr über dem Grenzwert", sagt Georg Steinhauser, ehemals am Atominstitut der TU Wien und nun an der Universität Hannover aktiv. Er beschäftigt sich insbesondere mit den Auswirkungen des Unfalls von Fukushima. "Die radioaktiven Mengen, die direkt oder indirekt in den Pazifik kamen, sind ein Bruchteil dessen, was im Zuge der zahlreichen Atomwaffentests des 20. Jahrhunderts in den Ozean gelangte."

Dennoch sei es natürlich wichtig, die Freisetzungen genau zu beobachten. Hinzu kommt die Kontrolle der Lebensmittelüberwachung: Steinhauser untersuchte, wie effektiv es den japanischen Behörden gelungen ist, Nahrungsmittel mit zu hoher radioaktiver Belastung vom Konsumenten fernzuhalten.

Rind- und Reiskontrolle

"Das Monitoring war in fast allen Lebensmittelkategorien extrem erfolgreich", sagt Steinhauser. "Mit einer Ausnahme: Rindfleisch." Es dauert, bis sich Radiocäsium im Muskelgewebe der Tiere ansammelt und es auch zu Grenzwertüberschreitungen kommt. Man habe aber verpasst, rechtzeitig mit den Messungen zu beginnen, schreibt er im "Journal of Environmental Radioactivity". Daher seien höchstwahrscheinlich einige Rindfleischproben an den Konsumenten gelangt und verzehrt worden. "Das ist definitiv unerfreulich, es bedeutet allerdings nicht automatisch, dass diese Konsumenten dadurch einem inakzeptablen Risiko ausgesetzt waren", sagt Steinhauser. Die japanischen Grenzwerte seien dafür sehr niedrig angesetzt.

Besonders gründlich geht man beim Grundnahrungsmittel Reis vor. Seit 2012 wurde jeder einzelne 30-Kilogramm-Sack Reis kontrolliert, das ergibt jährlich mehr als zehn Millionen. Während im ersten Jahr 71 Säcke einen Wert von mehr als 100 Becquerel pro Kilo hatten, gab es seit 2014 keine Grenzwertüberschreitungen mehr. Diese sind nur noch bei Wildschweinen oder Pilzen messbar, die Cäsium ansammeln. "Die Werte sinken bei Nahrungsmitteln auch aufgrund von Umweltprozessen", sagt Steinhauser. "Radioaktives Cäsium und Strontium werden ausgewaschen und an Mineralien immobilisiert. Ihre effektive Halbwertszeit beträgt daher statt 30 Jahren relativ kurze vier bis sieben Jahre."

Fastfood statt Fisch

In der EU wurden seit dem Unfall alle Direktimporte von japanischen Lebensmitteln kontrolliert, die jedoch nur einen geringen Teil ausmachen und in Österreich vor allem Würzpasten und Teespezialitäten betreffen. Auffällige Proben gab es laut Gesundheitsministerium weder hier noch bei Fischproben aus dem Pazifik. Daher sollen ab diesem Jahr die zu kontrollierenden Nahrungsmittel auf Pilze, Fischereierzeugnisse, Reis sowie bestimmte Obst- und Gemüsesorten beschränkt werden.

In Japan hat sich nun ein ganz anderes Problem herauskristallisiert: Lokales, potenziell radioaktives Essen erscheint vielen Menschen weniger sicher als Fastfoodprodukte. Kinder spielen seltener draußen, da ihre Eltern sie vor Strahlung schützen wollen. Zusammen haben diese Trends vor allem in der Gruppe der evakuierten Japaner bedenkliche Auswirkungen: Es gibt einen extremen Anstieg von Übergewicht. (Julia Sica, 9.3.2016)