Straßburg/Wien – Mit starken Bedenken reagiert das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) auf die Vereinbarungen zwischen der EU und der Türkei zu Flüchtlingen. Sollten diese künftig wie geplant aus Griechenland in die Türkei zurückgeschickt werden, müsse es zumindest Ausnahmen für besonders verletzliche Flüchtlingsgruppen geben, etwa Kranke, Traumatisierte, alleinreisende Frauen mit Kindern und unbegleitete Minderjährige, sagte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, am Dienstag im EU-Parlament.

Türkei müsse Schutz übernehmen

Desgleichen müsse geklärt sein, dass mit der Rückkehr auch die rechtliche Verantwortung für den Schutz der Flüchtlinge auf die Türkei übergehe. Dazu brauchte es jedoch eine eigene Vereinbarung, denn bis dato gewährt die Türkei außereuropäischen Flüchtlingen keinen vollen Schutz laut Genfer Flüchtlingskonvention – und somit auch keinen Zugang zu ordentlichen Asylverfahren.

Vielmehr werden Syrer, Iraker, Afghanen und Menschen aus anderen nichteuropäischen Ländern auf Basis des sogenannten europäischen Vorbehalts der Türkei dort nur als Asylwerber aufgenommen – bis das UNHCR sie in einem Drittstaat neu ansiedelt. Genau das, so Grandi, müsse rasch und in hohem Ausmaß geschehen. Nötig seien großzügige Neuansiedlungsprojekte in EU-Staaten. Doch laut dem EU-Türkei-Übereinkommen vom Montag sollen diese nur Syrern offenstehen.

Mit Relocation gegen Notstand in Griechenland

In einem am 3. März veröffentlichten Papier fordert das UNHCR die EU-Staaten darüber hinaus dringend auf, die Aufnahme von Asylwerbern im Rahmen der sogenannten Relocation aus Griechenland voranzutreiben. Würde aktuell nur die Hälfte der im September zugesagten 66.000 Relocation-Plätze zur Verfügung stehen, "könnte ein humanitärer Notstand in Griechenland verhindert werden", sagte Ruth Schöffl vom UNHCR in Wien.

Tatsächlich wurden von den bis 2017 geplanten insgesamt 160.000 Relocations bis dato nur rund 500 durchgeführt. Um die Dinge zu beschleunigen, wird in dem Papier daher unter anderem vorgeschlagen, die strengen Kriterien der Aktion zu ändern.

Statt wie derzeit nur Staatsangehörige einzubeziehen, die im vergangenen Quartal EU-weit zu über 75 Prozent Schutz erhalten haben, soll diese Vorgabe laut UNHCR auf 65 Prozent gesenkt werden. Damit könnten neben Syrern auch Afghanen EU-intern umgesiedelt werden, für die es derzeit aus Griechenland kein Fortkommen gibt.

Asylantragsstatistik: Ungarn-Kritik

Von Experten kommt indes Kritik an Interpretationen der am Montag veröffentlichten europaweiten Eurostat-Asylantragsstatistik für 2015. So haben nach Deutschland in Ungarn zwar tatsächlich die meisten Flüchtlinge um Schutz angesucht (174.245). Doch, so Herbert Langtahler von der Asylkoordination, "95 Prozent der Antragsteller sind rasch wieder ausgereist". Bezogen auf die Bevölkerungszahl trügen also Schweden (mit 154.960 Anträgen) und Österreich (85.360 Anträge) für die meisten Flüchtlinge Sorge. (Irene Brickner, 9.3.2016)