Nottingham/Wien – Sind in einer Gesellschaft Steuerhinterziehung oder Korruption an der Tagesordnung, hat das auch einen gesamtgesellschaftlichen Einfluss: In einer groß angelegten Untersuchung haben Forscher nun herausgefunden, dass in solchen Ländern Menschen auch stärker dazu neigen, von sich aus unehrlicher zu handeln, ohne dass dafür etwa eine echte wirtschaftliche Notwendigkeit bestehen würde.

"In einer korrupten Gesellschaft gibt es natürlich viele Gründe, um korrupt zu sein", erklärte der aus Österreich stammende Verhaltensökonom Simon Gächter von der Universität Nottingham (Großbritannien). Daraus lasse sich aber nicht ableiten, ob Menschen auch dann unehrlicher handeln, wenn sie in einer Situation sind, in der die Umgebung keinen direkten Einfluss auf ihre Entscheidung hat – ob die Gesamtsituation also die "intrinsische Ehrlichkeit" beeinflusst.

Über 2.500 Teilnehmer

Gächter und sein Kollege Jonathan Schulz von der Yale University (USA) ging dieser Frage in 23 Ländern und mit mehr als 2.500 Experiment-Teilnehmern nach: Dabei warfen alle Versuchspersonen einen Würfel zwei Mal und wurden dann gefragt, welche Augenzahl sie beim ersten Wurf gewürfelt hatten. Zuvor wurde ihnen erklärt, dass sie einen bestimmten Geldbetrag erhalten würden, der mit der Augenzahl steigt.

Beobachtet wurden sie allerdings nicht. Es lag also völlig in der Verantwortung der Teilnehmer, ob ihre Angaben der Wahrheit entsprechen und es drohten auch keine Konsequenzen bei Falschangaben. Da aber ein Würfel keinen natürlichen Hang zum Zeigen höherer Augenzahlen hat, konnten die Wissenschafter das Ausmaß an Unehrlichkeit daran ablesen, in wie weit die gesammelten Angaben pro Land der zu erwartenden statistischen Wahrscheinlichkeit zuwider liefen.

Dem Prinzip der Geldmaximierung folgend müssten eigentlich alle Teilnehmer die höchste Punktezahl angeben. Den Wissenschaftern wurde aber sehr schnell klar, dass dem keineswegs so ist. Es wurde also nirgends unverhohlen gelogen, so die Forscher.

Korruption und allgemeine Ehrlichkeit

Trotz des überall relativ hohen Anteils an Ehrlichen hätten den Angaben der Untersuchungsteilnehmer zufolge in manchen Ländern die Würfel eine deutlichere Tendenz zum Anzeigen hoher Augenzahlen als in anderen. Die von der erwartbaren Wahrscheinlichkeit deutlichsten Abweichungen wurden in Ländern registriert, für die die Wissenschafter anhand von internationalen Länderkennzahlen zu Korruption und Steuerhinterziehung ein hohes Maß an alltäglicher Regelüberschreitung errechnet hatten. So etwa in Tansania, Guatemala oder Georgien. Am anderen Ende der Skala lagen mit Großbritannien, Schweden, Deutschland oder auch Österreich wiederum großteils Länder mit niedrigeren Korruptionswerten.

Dass das Ausmaß an Unehrlichkeit in der Gesellschaft, mit dem die Leute täglich konfrontiert sind, bis in eine derart weit davon entfernte Experiment-Situation ausstrahlt, sei jedenfalls erstaunlich, so Gächter: "Es gibt scheinbar einen Einfluss der Umgebung auf die intrinsische Ehrlichkeit."

Das werfe wiederum fundamentale Fragen dazu auf, was die Wissenschaft über Ehrlichkeit überhaupt weiß. Gächter: "All diese Studien finden immer in wohlorganisierten westlichen Gesellschaften statt. Aber was man nicht macht, ist ein Vergleich mit Gesellschaften, in denen es tagtäglich Regelverletzungen auf allen Ebenen gibt. Die Studie, die sicher die größte ihrer Art zu dem Thema ist, zeigt nun, dass das auch eine große Rolle spielt." (APA, red, 12.3.2016)