Wels/Wien – Welser Kinder sollen in Zukunft besonders kompetent sein – zumindest was deutschsprachiges Kulturgut angeht. Je fünf deutschsprachige Lieder und Gedichte müssen jene Kinder künftig vortragen können, die einen Kindergarten der Stadt Wels besucht haben. Diese und andere "Lernziele" legt ein Wertekodex fest, der im Auftrag des Welser Bürgermeisters Andreas Rabl (FPÖ) ausgearbeitet wurde.

Der Entwurf soll dieser Tage von Verantwortlichen der Stadt und den Leiterinnen der Kindergärten diskutiert werden. Einmal in Kraft gesetzt, soll er für "das gesamte Personal in diesen Einrichtungen bindend" sein, wie es in der aktuellen Fassung des Vorwortes heißt.

Verpflichtendes Kirchenangebot

Als Eingriff in die pädagogische Arbeit bewertet das die Plattform Educare, die unter anderem für eine weltoffene Elementarpädagogik eintritt. "Wir haben einen bundesweit gültigen Bildungsplan, da brauchen wir nichts zusätzlich", sagt Educare-Sprecherin Heidemarie Lex-Nalis. In Wels würde aber künftig nach den Wertvorstellungen des Bürgermeisters gearbeitet, heißt es in einer Aussendung.

Und die sind vor allem christlich und deutsch, wie ein Blick in den fünf Seiten langen Wertekodex zeigt. "Das Feiern von christlichen Festen soll den Kindern außerdem Brauchtum, Tradition, Werte und und Gemeinschaft näherbringen und die Kinder stärken", steht da unter anderem. Kindergärten müssen zu den jeweiligen Festen Kirchenbesuche anbieten.

Pädagogische Ziele bundesweit einheitlich

Als "konkretes Lernziel" legt der Wertekodex fest: "Die Kinder sind fähig, mindestens fünf deutschsprachige Lieder und mindestens fünf deutschsprachige Gedichte zu singen beziehungsweise vorzutragen (eine konkrete Festlegung der Lieder und Gedichte erfolgt)." Die insgesamt 13 Lernziele von Bürgermeister Rabl behandeln etwa Respekt gegenüber anderen Menschen, Konfliktlösungskompetenzen, Pflicht- und Leistungsbewusstein sowie Umweltschutz.

Pädagogin Lex-Nalis vermutet dahinter denselben Hintergrund wie beim Wertekodex, den der oberösterreichische Bildungslandesrat Thomas Stelzer (ÖVP) an Schulen auflegen lassen will, nämlich die Gleichsetzung des Kulturbegriffs mit christlicher Kultur und deutscher Sprache. Das sei allerdings ein Fehlschluss. Der Fokus aufs Deutsche stehe außerdem im Widerspruch zum erwähnten Bildungsrahmenplan, den die rechtlich zuständigen Landesregierungen gemeinsam beschlossen haben. Der spricht etwa von der Förderung der jeweiligen Erstsprache als Voraussetzung für einen gelungenen Zweitspracherwerb.

Schon im Jahr 2009 veröffentlichten Länder und Bildungsministerium den "Bundesländerübergreifenden Bildungsrahmenplan für elementare Bildungseinrichtungen in Österreich". Der legt einheitliche pädagogische Ziele für alle Bildungseinrichtungen für Kinder vor dem Schuleintritt fest, diene den Ländern und Kindergärten aber nur als Orientierung, wie es aus dem Bildungsministerium heißt. Ein bundesweit verbindlicher Qualitätsrahmen sei im Rahmen der Bildungsreform beschlossen worden und werde derzeit gemeinsam mit den Bundesländern erarbeitet.

Kein Problem mit "Frère Jacques"

Bürgermeister Rabl verteidigt den Entwurf im Gespräch mit dem STANDARD. "Es geht mir auch darum, dass die Wertvorstellungen der städtischen Kindergärten für Eltern ersichtlich sind", sagt der FPÖ-Politiker. Warum er diese Werte den einzelnen Kindergärten nicht freistellt? "Weil ich sie nicht freistellen will."

Rabl findet an den Punkten im unveröffentlichten Papier nichts Böses. Der Punkt "In der pädagogischen Praxis werden Lieder in der Umgangs- und Bildungssprache Deutsch gesungen und Gedichte ebenso in dieser vermittelt" heiße etwa keinesfalls, dass ausschließlich deutsche Lieder und Gedichte gelehrt werden dürfen, "aber es ist eine klare Vorgabe in diese Richtung". Immerhin würden 52 Prozent der Welser Kinder bei Schulantritt nicht ausreichend gut Deutsch sprechen. Deutschsprachige Lieder zu lernen sei ohnehin gelebte Praxis in den Kindergärten, und der Wertekodex würde niemanden daran hindern, den Kindern zusätzlich etwa "Frère Jacques" beizubringen.

In der oberösterreichischen Landesregierung gibt man sich gegenüber Rabls Vorstoß abwartend. "Unsere Experten schauen sich das an", sagt der zuständige Landesrat Thomas Stelzer (ÖVP) zum STANDARD. "Es darf natürlich unserem Kinderbetreuungsgesetz und dem Bildungsrahmenplan nicht widersprechen." Die Stadt Wels als Betreiber könne ihren Dienstnehmern aber selbstverständlich Vorschriften machen. Politisch findet Stelzer die "Grundstoßrichtung okay". Die Vermittlung der gesellschaftlichen Grundwerte im Kindergarten sei ihm wichtig, "nach meinem Geschmack wird man das aber nicht durch Absingen bestimmter Lieder feststellen können", sagt Stelzer. (Sebastian Fellner, 10.3.2016)