Medien und Politik als Zielscheibe: Pegida-Demo Anfang Februar in Dresden.





















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Im Zusammenhang mit der Glaubwürdigkeit der Medien haben Passanten in Wien ihre Sorge gegenüber einer zunehmenden Kriminalität geäußert und dass diese zu wenig thematisiert würde. Allerdings vermeldete das Bundeskriminalamt 2015 einen Rückgang der angezeigten Fälle von 3,4 Prozent zum Vorjahr. Am 18. März werden übrigens die Zahlen für das vergangene Jahr bekanntgegeben.

Grafik: APA

Wien – "Früher", sagt "ZiB 2"-Moderator Armin Wolf, gab es auch "in jedem Dorf einen Nazi". Der habe alleine am Tisch schwadroniert, Leute hätten ihn einfach ignoriert. Heute erreiche er Tausende, weil Plattformen wie Facebook ihr Stammtisch sind und sich Botschaften rasch verbreiten ließen.

Dass Social Media Ängste verstärken und einen nicht unerheblichen Anteil an der Vertrauenskrise in Medien haben, war Mittwochabend Thema beim ORF-Dialogforum und einer Diskussion zu Flucht und Qualitätsjournalismus.

Wem glauben Sie eigentlich noch?

DER STANDARD hat Passanten auf der Favoritenstraße in Wien gefragt, wem man noch glauben könne. Viele haben sich von den traditionellen Medien bereits abgewendet. Es sind dieselben, die einen Zusammenhang zwischen Migration und Kriminalität sehen.
derstandard.at/von usslar

Von zunehmenden Angriffen auf Medienvertreter erzählt Stefan Raue, Chefredakteur des deutschen MDR. Ausgangspunkt sind nicht selten Portale wie Facebook und Twitter. Dass Demonstranten "Lügenpresse" skandieren, sei in Sachsen mittlerweile allgegenwärtig. Vor allem wenn islamfeindliche Pegida-Anhänger ausrücken, um Medien zu beschuldigen, nicht wahrheitsgemäß über Flüchtlinge zu schreiben.

"Vor ein paar Jahren gab es diese Aggression nicht." Eine Zäsur sei die Silvesternacht in Köln gewesen, als von den Übergriffen auf Frauen berichtetet wurde, ohne tagelang den Migrationshintergrund der mutmaßlichen Täter zu erwähnen. "Köln war keine Sternstunde des Journalismus", sagt Raue heute. Es wurden "handwerkliche Fehler" gemacht, aber: "Es war keine Ideologie dahinter."

Mangel an Ressourcen

Redaktionen seien an diesem Wochenende dünn besetzt gewesen und "wir wurden von der Bombendrohung in München in Beschlag genommen", so Raue. Armin Wolf verweist darauf, dass weniger nationale Sender versagt hätten, sondern vor allem Kölner Lokalredaktionen, die den spärlichen Polizeiinformationen auf den Leim gingen und nicht ausreichend recherchierten.

Video: Ausschnitte aus der Podiumsdiskussion

derStandard.at/Brugner

"Eine medienskeptische Bevölkerung hat es immer gegeben", sagt Joachim Riedl, der die Österreich-Seiten der "Zeit" verantwortet. Früher seien Medien oft von linker Seite attackiert worden, jetzt kämen die Prügel von rechts. Durch das Trommeln in sozialen Medien gebe es einen Schneeballeffekt: "In den 70er-Jahren mussten Flugblätter verteilt werden, heute reicht ein Facebook-Posting." Bei Medienberichten ortet Riedl eine Tendenz, "dass nicht ist, was nicht sein sollte". Er warnt vor der Tabuisierung gewisser Themen: "Machen wir das, liefern wir den Rechten Munition." Es gebe ohnehin schon genügend Leute, die in "Parallelwelten" lebten und ihre Informationen nur mehr über FPÖ-TV oder den rechten Portal "unzensuriert.at" beziehen.

Schuld der Medien

Zu einer Medienschelte hat erst kürzlich der Philosoph Konrad Paul Liessmann ausgeholt. Ein "moralischer Impetus" dominiere die Berichterstattung über Flüchtlinge. Medien müssten jetzt ihre Rolle neu reflektieren. Er kritisiert vor allem, dass Berichte und Meinung nicht selten verschmelzen. Das gehöre strikt getrennt, betreffe aber nicht nur den Boulevard, sondern auch Qualitätsmedien. Ein Vertrauensverlust bei Lesern sei die Folge. Am Beginn der Flüchtlingskrise wurden dem Publikum Bilder vorenthalten: "Gezeigt hat man überwiegend Frauen und Kinder, gekommen sind aber junge Männer."

Er konstatiert eine "Barbarisierung des Tons" als negative Folge von sozialen Medien. Rülpser kämen ungefiltert: "In der Leserbriefkultur war das nicht denkbar." Medien müssten diesen "Phantasmen" fundierte Berichte entgegensetzen. Generell plädiert er für eine Versachlichung der Debatte durch eine "Hysterieaskese".

Versachlichung der Debatte notwendig

"Die Menschen haben Angst", sagt Beate Winkler von der Medienstiftung Civis. Flüchtlinge seien die Boten einer "tiefgreifenden Veränderung". Sie sieht eine "Polarisierung der Gesellschaft". Ängste der Menschen müssten ernst genommen werden. Man dürfe sie nicht einfach als Fremdenfeindlichkeit abstempeln.

"Medien machen nicht mehr Fehler als früher", sagt Armin Wolf, würden es aber verabsäumen, Standpunkte zu erklären. Dem ORF schlägt er vor, etwa in den Landesstudios Debatten mit Sehern zu führen. Noch mehr Selbstreflexion sei angesagt. "Ich kenne keinen Journalisten, der das Gefühl hat, er wäre eine unhinterfragte Autorität." Dafür sorge schon die umfangreiche Feedbackschleife – etwa via Social Media oder Foren: "Vieles davon ist nützlich."

Keine "Verschwörung der Gutmenschen"

Zu wiederkehrenden Vorwürfen einseitiger Berichterstattung meint Wolf: "Es gibt nichts, was wir nicht berichten sollen." Eine "Verschwörung der Gutmenschen" gebe es nicht. Was es aber gebe, sei ein Elitenproblem im Journalismus. Der Beruf sei für Kinder von Bildungsbürgerfamilien, aber nicht für jene aus dem Arbeitermilieu. Viele Journalisten hätten ein "gemütliches Bobo-Leben" und hätten den Blick auf die "Lebenswirklichkeit der Leute in Simmering" verloren. Das bestätigt auch MDR-Chefredakteur Raue: "Wir haben zu viel Abstand zu den Menschen." Als Beispiel nennt er Hartz-IV-Empfänger. Deren Realtiät sei völlig falsch eingeschätzt worden. Journalisten müssten "vom hohen Ross runter" und dürften sich nicht so wichtig nehmen. Weg müsse der "Berufszynismus".

Um Qualitätsjournalismus zu betreiben, brauche es ein ökonomisches Fundament, sagt Wolf. Und das bröckelt: "Vielleicht ist es sinnvoll, Qualitätsmedien öffentlich zu finanzieren." Von "entsetzlichen Zuständen der Presse" erzählt der ehemalige Journalist Elias Bierdel. Er meint die Medienlandschaft in Griechenland: Es sei erschreckend, wie Medien Ängste mit einer "unverantwortlichen Berichterstattung" schüren. (Oliver Mark, Videos und Grafik: Maria von Usslar, Sarah Brugner, 10.3.2016)