Ein syrischer Bub wartet in einem Flüchtlingscamp in Jordanien.

Foto: APA/HARRY CHUN/CARE

Länder werden nicht dadurch sicherer, dass man sie kurzerhand für sicher erklärt. Es mag sich um eine willkommene zeitliche Koinzidenz handeln, dass Länder, die bis vor kurzem noch als unsicher galten, gerade dann sicherer werden, wenn Länder wie Österreich oder Deutschland ihre "Wir schaffen das"-Mentalität verlieren. Ehrlicher und im Sinne der politischen humanistischen Glaubwürdigkeit angebrachter wäre es zuzugeben, dass man sich mit der Flüchtlingssituation überfordert fühlt und daher Menschen auch in Länder zurückschickt, die nicht sicher sind.

Zu der ohnehin fragwürdigen Liste der sicheren Herkunftsstaaten hat der Ministerrat auf Basis der Beschlüsse des vergangenen Asylgipfels "nach detaillierter Prüfung der Situation" auch Algerien, Georgien, Ghana, Marokko, die Mongolei und Tunesien hinzugefügt. Ob eher die Situation der genannten Länder oder jene Österreichs im Fokus der Prüfung stand, ist angesichts der eklatanten Menschenrechtsverletzungen insbesondere in den Maghreb-Staaten allerdings fragwürdig. Sicher, man kann vergleichsweise sagen, dass jene Staaten sicherer sind als Syrien, wo der offene Bürgerkrieg derzeit nur von einer brüchigen Waffenruhe verhindert wird.

Der Preis der Menschenrechte

In Algerien aber ist Folter noch immer politischer Alltag. Ähnlich gestaltet sich die Lage in Marokko, wo die Rechte auf freie Meinungsäußerung trotz der liberaleren Verfassungsänderung von 2011 in der politischen Praxis weiterhin stark eingeschränkt sind. Auch hier werden, wie in den Berichten verschiedener Menschenrechtsorganisationen nachzulesen ist, weiterhin Folter und andere Misshandlungen als legitime Mittel zur Erpressung von "Geständnissen" vor Gericht angewendet. Amnesty International hat zudem schon mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass Frauen in Maghreb-Staaten nicht adäquat vor sexueller Gewalt geschützt werden.

Parteienübergreifend interpretiert die österreichische Politik die "Erfolge", die Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière bei den Rückführungsverhandlungen mit den Maghreb-Staaten erzielt hat, dennoch größtenteils als ein "positives Signal" und einen "Ansporn" dafür, dass "auch wir es schaffen", wie Kanzleramtsminister Josef Ostermayer (SPÖ) Anfang März dem Ö1-"Morgenjournal" verriet. Damit ist die "Wir schaffen das"- Mentalität nun unter umgekehrten Vorzeichen zurückgekehrt. Über die konkreten Zugeständnisse, die de Maizière bei seinen Verhandlungen als Gegenleistung offeriert haben muss, hat man bisher wenig Details erfahren.

Verlustliste europäischer Werte

Wenn Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) wie geplant noch im März zusammen mit Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) nach Marokko reist, um dort erste Verhandlungen über sogenannte Rückführungen zu führen, dann muss auch darauf geachtet werden, welchen Preis wir dafür zu zahlen bereit sind. Denn Menschenrechte zu einem möglichst geringen Preis zu verhandeln ist nichts, auf das man stolz sein kann. Doch um Stolz geht es hier auch nicht, sondern zunächst um Ehrlichkeit.

Die Wahrheit ist, dass wir dabei sind, geflohene Menschen effizienter in ihre Herkunftsländer zurückzuschicken, nicht weil diese Länder sicher sind, sondern weil sich die Politik derzeit nicht anders zu helfen weiß. Das ist angesichts der Tatsache, dass nicht alle Flüchtlinge über gleich gute Gründe verfügen, nach Österreich zu kommen, nachvollziehbar, doch müssen wir aufpassen, dass diese Liste nicht zu einer Verlustliste europäischer Werte wird. (Oliver Mertens, 15.3.2016)