Wales Fullback Liam Williams kommt an EnglandsAnthony Watson nicht mehr heran, der Flügel legte den einzigen Versuch seines Teams.

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Ausgeknockt, aber (halbwegs) okay: Wales Captain Sam Warburton.

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Taulupe Faletau auf dem Weg zum dritten walisischen Try. Doch das Team fand zu spät zu sich selbst.

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Der Rugby-Ball, ein eigenwilliger Geselle.

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Wien/London – "Es lässt eben nichts die Herzen höher schlagen, als die Erwartung dieses Ländermatches. Es ist eine Variante von David gegen Goliath", hatte der Historiker Gwyn Prescott gegenüber dem STANDARD über die Vergleiche der Rugby-Nationalteams aus England und Wales gemeint.

Und wie es so Sitte ist, hat sich David auch auf diesem Feld ziemlich gut geschlagen. Vor dem 128. Duell am Samstag in Twickenham hatten die Waliser dem großen Nachbarn immerhin 57 Niederlagen beibringen können. Mit anderen Worten: die Bilanz ist so gut wie ausgeglichen.

Wie erbittert die Rivalität zwischen den Nachbarn ausfällt, illustriert ein berühmtes Zitat der walisischen Legende Phil Bennett. 1977 stimmte der Kapitän seine Kameraden mit folgenden Worten auf ein England-Match ein:

"Look what these bastards have done to Wales. They've taken our coal, our water, our steel. They buy our homes and live in them for a fortnight every year. What have they given us? Absolutely nothing. We've been exploited, raped, controlled and punished by the English – and that's who you are playing this afternoon."

Die Ausgangslage

Auch wenn die Schärfe des Antagonismus sich seitdem doch erheblich abgeschliffen hat, die Ausgangslage vor dem diesmaligen Treffen konnte brisanter kaum sein. Wer auch immer die Partie für sich würde entscheiden können, dem sollte nach menschlichem Ermessen der Turniersieg bei den Six Nations 2016 kaum noch zu nehmen sein. England, der Tabellenführer, hatte alle seine drei bisherigen Spiele gewonnen. Wales bilanzierte mit zwei Siegen und einem Remis gegen den entthronten Titelverteidiger Irland.

Trotzdem die Waliser auf Kurs zum vierten Titel in acht Jahren also ganz gut unterwegs waren, sah man sich zuletzt recht fundamentaler Kritik ausgesetzt. Nach dem in der Tat glanzlosen 19:10 gegen Frankreich wurde der Auswahl von Chefcoach Warren Gatland so etwas wie der Verrat nationaler Traditionen vorgeworfen: Grobklotzig würde man zu Werke gehen, statt in den Spuren flamboyanter Stilisten wie Bennett, Barry John oder Gareth Edwards zu wandeln. Diese Sicht jedoch, ist von romantischer Überwältigung geprägt und hält faktenbasierter Überprüfung nicht stand. Wales stützte sich neben pfiffigen Backs nämlich immer auch auf ein kraftvolles Forward-Pack. Es geht also nicht um ein Entweder-Oder, vielmehr ist ein harmonischer Zusammenklang beider Mannschaftsteile der entscheidende Faktor.

Darüber hinaus verliert man aus dem Blick, dass Gatlands Teams mit ihrer Geduld und Methodik zumindest in Europa sportlich Maßstäbe gesetzt haben. Vergessen wird, dass Wales in den 1990er und 2000er Jahren international den Anschluss verloren hatte und wiederholt in schrecklichen Debakeln wie einem 0:51 gegen Les Bleus (1998) versank. Dann kam der Neuseeländer Gatland und Wales, fit und immer bestens eingestellt, begann sich an Winning Ways zu gewöhnen. In der Weltrangliste liegt man als am besten platzierter Vertreter der Nord-Hemisphäre an vierter Stelle, England folgt auf Rang sechs.

Elf Spieler der walisischen Startformation standen auch im September 2015 auf dem Platz, als man den Engländern bei ihrer eigenen WM im eigenen Stadion ein 28:25 vor den Latz knallte. Drei der letzten sechs Partien in Twickenham konnten gewonnen werden, die Brüste der Waliser durften also durchaus noch breiter sein, als ohnehin schon der Fall. England, umgekrempelt vom neuen Coach Eddie Jones, trug Revanche im Herzen. Jones: "Wir müssen smart sein."

Fast wie im Training

Und seine XV gab dem Gast vor 81.300 Zuschauern in der Anfangsphase auch gleich ordentlich Gelegenheit, seine hochgelobten Defensivqualitäten anzuzapfen. England begann dominant, Tempo und Einfallsreichtum ließen nichts zu wünschen übrig. Zweimal war man Tries ganz nahe, Referee Craig Joubert musste den Video-Schiedsrichter befragen, ehe in beiden Fällen keine regelkonforme Erdung des Balles hinter der Try-Linie diagnostiziert werden konnte. Alle aus der Gefahrenzone gekickten Bälle kamen in den Händen spielfreudig anstürmender Engländer postwendend wieder auf die walisische Defensive zu. Durchatmen nicht erlaubt.

Anthony Watson war es schließlich, der die permanent in der Luft hängende Bedrohung in Realität überführte, und nach einer halben Stunde eine fesche Kombination über die linke Seite mit dem überfälligen Versuch abschloss.

Wales konnte sich in keiner Weise entfalten, fand offensiv nicht statt. Allerdings ist beides ohne Ballbesitz auch gar nicht leicht zu verwirklichen, und der wurde von England in den ersten 40 Minuten praktisch monopolisiert. 19 verpasste Tackles, acht konzedierte Penalties: eine Halbzeit zum Vergessen für die Waliser. Die 16:0-Halbzeitführung Englands schmeichelte ihnen sogar noch.

RBS 6 Nations

Nach Seitenwechsel änderte sich zunächst nichts. Wales brauchte zu lange, um den Ball aus Rucks herauszuarbeiten und gab so dem Gegner ein ums andere Mal die Gelegenheit zu Turnovers. Owen Farrell schraubte mit seinem vierten erfolgreichen Penaltykick Englands Ausbeute auf 19 Punkte. Es brauchte eine individuelle Heldentat von Dan Biggar, der einen Kick von George Ford blockte und zwischen den Pfosten scorte, damit Wales erstmals anschreiben konnte (53). Ein Musterbeispiel für einen Try aus heiterem Himmel war das, und ein solcher beglückte an diesem Nachmittag London ja auch außerhalb bloßer Metaphorik.

Wales kreuzt doch noch auf

Momentum mochte sich daraus aber nicht so recht ergeben. Dafür sorgte schon der weiterhin ergiebige Fluss an Penalties in Englands Richtung. Farrell zögerte nicht, sein Team dem vierten Sieg in Serie immer näher zu hufen. 25:7 hieß es zwischenzeitlich.

Eine Wendung hatte das Spiel dann aber doch noch in der Hinterhand. Dan Cole, Englands Prop, ließ ein Maul zusammenbrechen, kassierte eine Gelbe Karte und musste das Feld verlassen (71.) In Überzahl setzte Wales nun tatsächlich zum Comeback an. Aufgeben ist ja ein Wort, das im Sprachschatz der Dragons nicht vorkommt.

Der Reihe nach: Wunderbarer Offload von Liam Williams auf Jonathan Davies, der George North auf die Reise schickte (73.). Try Nummer zwei. Kurz darauf entkam der flotte Flügel erneut seinen Häschern, der Ball fand den Weg zurück zur Mitte, wo endlich Taulupe Faletau ein Statement abgab und in typischer Manier zum Doppelschlag über die Linie walzte (76.). Wales ähnelte jetzt Wales. Wollte man wirklich England in 15 Minuten schlagen? Für die sichtlich erschütterten Gastgeber jedenfalls wartete der Albtraum nun hinter der nächsten Ecke. Nur noch vier Punkte waren vom einst so royalen Vorsprung übrig geblieben.

Und Wales blieb am Drücker. Ein letztes Mal rauschte North die Linie entlang, aber es gelang den Engländern, ihn ins Out zu schieben. Ein Lineout für Jones' Mannen war die Folge und die Partie vorbei. Doch noch Drama, der Titel jedoch ist England nun nicht mehr zu nehmen.

Schottlands Beitrag

Denn im Sonntagsspiel zu Edinburgh bezwang Schottland die Franzosen mit 29:18 und nahm den Galliern damit die Chance auf ein Entscheidungsspiel kommende Woche in Paris. Mit ihrem ersten Erfolg gegen Frankreich seit zehn Jahren setzten die Schotten ihren Aufschwung nun auch in ein Ergebnis um und schoben sich in der Tabelle auf Platz drei.

Jones schaffte es also, die Engländer nach nur wenigen Wochen im Amt in Sieger zu verwandeln. Die Erfolgsmeldung ist aber auch schwer notwendig. Denn es ist dies erst der zweite Titel bei den Nations seit seit 2003, dem Jahr des Triumphs bei der Weltmeisterschaft, der erste seit 2011. Eine derart magere Ausbeute kann für die numerisch größte Rugby-Nation der Welt nicht akzeptabel sein.

Im Stade de France geht es am nächsten Samstag somit "nur" noch um den Grand Slam, also die Ehre, das Turnier mit fünf Siegen abzuschließen. Frankreich wird vor eigenem Publikum alles daran setzen, dies nicht geschehen zu lassen. Die weiteren Partien: Wales vs. Italien und Irland vs. Schottland. (Michael Robausch, 13.3. 2016)

ERGEBNISSE, vierter Spieltag:

England – Wales 25:21 (16:0)

England – Try: Anthony Watson (31.)
Conversion: Owen Farrell (32.)
Penalty Goals: Owen Farrell (9., 18., 20., 45., 65., 67.)

Wales – Tries: Dan Biggar (53.), George North (73.), Taulupe Faletau (76.)
Conversions: Dan Biggar (54.), Rhys Priestland (74., 77.)

Link: Statistik zum Spiel

Irland – Italien 58:15 (25:3)

Irland – Tries: Andrew Trimble (7.), Jack McGrath (15.), CJ Stander (30.), Jamie Heaslip (40., 49.), Jared Payne (43.), Sean Cronin (54.), Ian Madigan (64.), Fergus McFadden (79.) Conversions: Jonathan Sexton (15., 44., 50.), Ian Madigan (55., 80.)
Penalty Goal: Jonathan Sexton (27.)

Italien – Tries: David Odiete (58.), Leonardo Sarto (75.)
Conversion: Kelly Haimona (59.)
Penalty Goal: Edoardo Padovani (24.)

Sonntag:
Schottland – Frankreich 29:18
(18:12)

Schottland – Tries: Stuart Hogg (32.), Duncan Taylor (35,), Tim Visser (65.)
Conversion: Greig Laidlaw (37.)
Penalty Goals: Greig Laidlaw (15., 21., 74.), Stuart Hogg (46.)

Frankreich – Tries: Guilhem Guirado (4.), Gael Fickou (41.)
Conversion: Maxime Machenaud (42.)
Penalty Goals: Maxime Machenaud (51., 57.)

Link: Tabellenstand