Wenig zum Feiern am Praterstern in den 1970ern.

Foto: G. Walter

Behütete Kinder am Flughafen in den 1960ern.

Foto: Georg Chwojka

Hundstage in den 1950ern im Gänsehäufel.

Foto: G. Werdan

Broadway? Nein, Kärntner Straße um 1960.

Foto: G. Walek Larischs

Würstelstand in den frühen 1970ern.

Foto: R. Ehrenreich

Spitze Schuhe & Taftfrisuren: Fliegen in den 1960ern.

Foto: G. Werdan

Billas Anfänge in der Mariahilfer Straße um 1970.

Foto: G. Brueckl-Reiter

So überschaubar war Wiens Airport in den 1960ern.

Foto: O. Prohaska

Wiener Original: Waluliso in den 1980ern.

Foto: W. Gmeiner

Wien – Für Michael Martinek und andere Vintagevienna-Fans ist es wie das Eintauchen in eine andere Welt. In eine Welt, die im Vergleich zum Hier und Jetzt als besser erscheinen mag und keine Angst vor morgen kennt: Martinek und seine inzwischen insgesamt über 120.000 User zählende Vintagecommunity tauchen mittels alter Fotos in die Vergangenheit ein, in das Wien früherer Jahrzehnte; was nachher geschah, ist hinlänglich bekannt und wirkt rückwirkend fast harmlos, so als hätte man die letzten Seiten eines Krimis vorab gelesen.

Mit diesem Wissen und nostalgischem Blick lässt sich, zum Beispiel, die fotografisch festgehaltene Tristesse am Praterstern in den 1970er-Jahren (siehe Foto) als die ganz besondere Atmosphäre des damaligen Wien genießen. So als gehörte man zu der ebenfalls abgebildeten übriggebliebenen frühmorgendlichen Partygesellschaft, die das Grau ein wenig aufheitert.

Und die nach damals gutbürgerlicher Wiener Art mit schweren Mänteln und Hüten verkleideten Kinder der 1960er-Jahre auf der Aussichtsterrasse des Flughafens Wien-Schwechat (siehe Foto) wirken dann wie Exoten, die man ungehemmt bestaunen kann.

"Fotos sind die einfachste Form der Zeitreise", betont Vintagevienna-Mitgründer Martinek. 2012 begann der heute 42-Jährige zusammen mit Daniela Horvath familiäre Schnappschüsse und private Ablichtungen von Straßenszenen aus Wien auf die Homepage www.vintagevienna.at zu stellen. Er, Inhaber eines Musiklabels, sie, wie er auch, freie Medienprojektemacherin, legten den Schwerpunkt ihrer Fotosammlung auf die Zeit zwischen 1900 und 1980, mit besonderer Berücksichtigung der 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahre.

Inspiration Los Angeles

Inspiriert dazu hatte sie ein Projekt, das sie 2011 im US-amerikanischen Los Angeles gesehen hatten: "Vintage LA wurde von der Tochter eines bekannten Entertainers betrieben und fokussierte auf Aufnahmen aus dem Fundus von US-Schauspielern und -Kulturschaffenden. Das historische Los Angeles wurde erst später als Thema miteinbezogen."

In Wien, so waren sich die Projektgründer einig, sollten gleich die Stadt von früher und ihre Bewohner im Mittelpunkt stehen. Dabei sollte das Verbindende überwiegen: "Menschen stellen ihre Fotos zur Verfügung, andere freuen sich: eine Win-win-Situation", erläutert Martinek.

Eine Situation, die jedoch nicht unbedingt zu einem authentischeren Bild der Bundeshauptstadt und der Wiener Bevölkerung in früheren Jahrzehnten führt, wendet an dieser Stelle der Wiener Stadthistoriker Peter Payer ein. Das habe mit dem privaten Charakter der analogen Fotos zu tun, die laut dem Fotografieexperten und Kurator der Wiener Fotogalerien West- und Ostlicht, Fabian Knierim, zwischen 1950 und 1990 Hochkonjunktur hatten.

Sie würden sich, so Payer, zwar durch einen "nichtinstitutionellen Blick auf Augenhöhe" auszeichnen – aber auf immer wiederkehrende Motive. "Familienausflüge, Verwandtschaftsbesuche, frei zugängliche, sensationsträchtige Vorkommnisse", zählt Payer auf. So habe etwa der Einsturz der Reichsbrücke im August 1976 ganze Scharen von Hobbyfotografen auf den Plan gerufen.

Auch Martinek und Horvath plünderten zuerst den Fotofundus ihrer Großeltern und Eltern – doch mit der Zeit kamen tausende weitere Bilder von Mitinteressierten dazu: Das Vintagevienna-Projekt ging auf wie ein gelungener Germteig. "Ende 2012 und 2013 gab es einen richtigen Hype", schildert Martinek. Medien aus der ganzen Welt bekundeten Interesse und berichteten über die Wiener Initiative. In der Folge wurden auch in vielen anderen Städten, Regionen und Dörfern ähnliche Projekte gestartet.

Vintagevienna expandierte. Die Parallelprojekte Vintagealps und Vintageadria – mit Privatfotos aus den beliebtesten Urlaubsgebieten der Österreicher zwischen 1960 und 1990 – entstanden. Der Metro-Verlag trat an Martinek und Horvath heran, drei deutsch-englische Bücher ("Die Bilder unserer Kindheit" 2013, "Sensationen des Alltags" 2014 und "Vintage Vienna: Zurück in die Zukunft" 2015) wurden publiziert.

Von 11. bis 13. März, Freitag bis Sonntag, findet im Wiener Museumsquartier der "Art Walk Vintage & Kunst im MQ" statt, samt einer Ausstellung alter Wien-Fotos von Vintagevienna.

Zu einem wirklich lukrativen Geschäftsmodell wurde Vintagevienna bisher trotzdem nicht. Nach wie vor betreibt Martinek – Horvath hat sich vorübergehend zurückgezogen – das Projekt als privaten Blog, für den er inzwischen auch Facebook, Twitter, Youtube sowie Tumblr nutzt. Er schaltet keine Werbung und betreibt kein gezieltes Marketing.

Subjektive Auswahl

Welche der vielen Fotos, die er per Mail erhält, online gestellt werden, entscheidet er nicht nach dokumentarischen, sondern nach subjektiven Kriterien: Auf Vintagevienna werden Bilder hochgeladen, die Martinek besonders eindrücklich oder gelungen erscheinen. Er beschriftet sie und fügt eine Kommentarfunktion hinzu.

Das initiiert einen Verwandlungsprozess. Auf den digitalen Schreibtischen und Oberflächen schimmernd, scheinen die aus staubigen Alben, Kartons, Schubladen befreiten Bilder ganze Geschichten zu erzählen. Etwa jene einer in Wien startenden Flugreise um 1960 (siehe Foto). Man trat sie als gesellschaftliches Ereignis in feiner Kleidung an – und, was die Damen angeht, in unbequemen Schuhen.

Zudem, so Martinek, entwickle sich auf Vintagevienna "ein Crowd-Wissen über die Stadt und ihre Bewohner". So habe ein Foto sogar schon eine Familienzusammenführung initiiert: Das Bild eines Messergeschäfts im sechsten Bezirk aus den 1950er-Jahren habe den Bildbesitzer und den aktuellen Firmenbetreiber verlinkt. In der Folge stellten sie fest, dass sie miteinander verwandt sind. (Irene Brickner, 12.3.2016)