Am 5. März erschien "Zaman" zuletzt als unabhängige, kritische Zeitung.

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Ankara/Athen – Gegen Mittag hat es ihn wieder erwischt. "Ich fordere Staatsanwälte und Richter zu Ernsthaftigkeit und Recht auf", twitterte Ekrem Dumanli am Freitag. Der neuerliche Haftbefehl war gerade bekannt geworden. Das letzte Mal holte ihn die Polizei aus seinem Chefredakteursbüro in Istanbul heraus. Mittlerweile hat Dumanlı die Führung der türkischen Tageszeitung "Zaman" abgegeben. Die ist vergangene Woche ohnehin unter Zwangsverwaltung gestellt worden und druckt nun Lobartikel auf die Regierung.

Auch Bülent Keneş, der Ex-Chef des englischsprachigen Schwesterblatts "Today's Zaman", ist wieder in der Tretmühle der türkischen Justiz. Beiden wird Beleidigung des Präsidenten, Verbreitung terroristischer Propaganda und Beteiligung an Umsturzplänen vorgeworfen. Eine Woche Kritik aus der EU an der fortgesetzten Beschneidung der Medien- und Meinungsfreiheit in der Türkei hat offenbar nicht die geringste Wirkung gehabt.

"Dieb Tayyip"

Noch am Tag nach dem EU-Türkei-Gipfel am vergangenen Montag wurde ein Journalist von Birgün, einer kleinen linken Zeitung, zu 21 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Barış İnce hatte einen Text geschrieben, mit Initialen zu Beginn jedes Absatzes, die in einer Reihe gelesen "Dieb Tayyip" ergaben. Das war das Schimpfwort gegen den heutigen türkischen Staatspräsidenten Tayyip Erdoğan während der Korruptionsaffären im Dezember 2013.

34 Journalisten sitzen derzeit in türkischen Gefängnissen – İnce, Dumanlı und Keneş noch nicht mitgezählt –, doch die Bestrafung von Meinungsäußerungen hat in diesen Tagen ein selbst für Landesverhältnisse spektakuläres Ausmaß erreicht.

Zwangsverwaltung

Die Zwangsverwaltung von "Zaman" und – seit dieser Woche – auch der Nachrichtenagentur Cihan wird als Todesstoß gegen die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, eines früheren Verbündeten Erdoğans, gesehen.

464 Ermittlungen eröffnete der türkische Staat aber bisher auch gegen Dozenten und Professoren an Universitäten, die im Jänner eine Petition unterschrieben hatten. Das gab ein Komitee der "Akademiker für den Frieden" diese Woche bekannt. Mehr als 1.000 Hochschullehrer hatten in der Petition ein Ende der Militäroperationen in den kurdischen Städten im Südosten der Türkei verlangt. Staatschef Erdoğan nannte sie "Verräter". Rund 30 von ihnen sollen ihre Arbeit verloren haben.

Kritik am Verfassungsgericht

Auch Erdoğans Kritik am Verfassungsgericht und die Drohungen der Regierungspresse und der dem Staatschef ergebenen Politiker gegen Gerichtspräsident Zühtü Arslan wollen nicht verstummen. Das türkische Höchstgericht hat nun seine Begründung für das Urteil veröffentlicht, das zur Freilassung zweier renommierter Journalisten aus der Untersuchungshaft geführt hatte.

Can Dündar, der Chefredakteur von "Cumhuriyet", der wichtigsten Oppositionszeitung, und der Leiter des Ankara-Büros, Erdem Gül, saßen drei Monate in Haft und warteten auf die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens wegen Spionage. Erdogan hatte selbst geklagt.

Unangemessene Entscheidung

Das Höchstgericht fand jedoch, die Untersuchungshaft stehe in keinem angemessenen Verhältnis zur eigentlichen "Tat": dem Verfassen eines Zeitungsartikels. Zudem lagen sechs Monate zwischen der Veröffentlichung von Dündars und Erdems Bericht über einen mutmaßlichen Waffentransport an Rebellen in Syrien im Jahr 2014, der vom türkischen Geheimdienst eskortiert, dann von der Gendarmerie jedoch gestoppt und gefilmt worden war. Beiden Journalisten droht eine lebenslange Gefängnisstrafe für den Bericht. (Markus Bernath, 12.3.2016)