Wien – Angesichts des drängenden EU-Türkei-Pakts hat EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn betont, Ankara müsse alle Bedingungen erfüllen. "Man kann nicht mit uns eine türkische Variante von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verhandeln, sondern nur eine europäische", sagte Hahn am Freitag. Dabei pochte der EU-Kommissar auf eine rasche, gemeinsame Sicherung der EU-Außengrenzen.

Der Plan zwischen der EU und Ankara sieht vor, dass die Türkei ab einem bestimmten Zeitpunkt alle neuen Flüchtlinge aus Griechenland zurücknimmt. Die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge darunter will sie dann weiter in ihre Herkunftsländer abschieben. Für jeden Syrer, den Ankara aus Griechenland zurücknimmt, soll die EU einen der 2,7 Millionen Syrer aufnehmen, die schon in der Türkei leben. Als Gegenleistung fordert die Türkei eine Visa-Liberalisierung, neue Beitrittskapitel und sechs Milliarden Euro. Eine Entscheidung soll es beim Gipfel kommende Woche geben.

"Sowohl was die Visa-Liberalisierung als auch die Beitrittsverhandlungen angeht, das geht keinesfalls auf Kosten der Substanz", sagte Hahn vor Journalisten in Wien. Eine Visa-Liberalisierung mache aber auch aus "europäischer Warte" sehr viel Sinn, betonte der EU-Kommissar. Denn dies würde auch ein Rückübernahmeabkommen zwischen allen 28 EU-Mitgliedstaaten und der Türkei beinhalten – so wie es Griechenland schon hat. An eine Umsetzung – wie zuletzt von der Türkei gefordert – bis 1. Mai glaubt Hahn nicht, selbst bis Juni sei dies "sehr ambitioniert". Eine Einigung diesbezüglich ziehe nämlich auch einen "Rattenschwanz" von Aktionen mit sich. "Aber an uns soll es nicht scheitern", fügte der Kommissar hinzu.

Kein Preis laut Hahn

Von einem "Preis", den Europa bei dem Deal mit der Türkei zahle, will Hahn nicht sprechen. Die Flüchtlingskrise hätte den Annäherungsprozess lediglich beschleunigt, was aber nicht bedeute, dass Ankara den Anforderungen der EU nicht nachkommen bräuchte. Dabei betonte der Erweiterungskommissar auch, dass die Beitrittsgespräche mit der EU unter der Prämisse eines "offenen Ausganges" stattfinden. Eine Entscheidung soll es demnach erst nach Beendigung der Kapitel, die sich mit Rechtsstaatlichkeit auseinandersetzen, geben.

Dass die Türkei stets kritisiert, sie habe von den vereinbarten drei Milliarden noch "keinen Cent gesehen", sieht Hahn nicht ein. "Das werden sie auch nicht, weil die drei Milliarden direkt (von der EU, Anm.) verwaltet werden", sagte der EU-Kommissar. Auch die jüngste Kritik Mazedoniens, die EU hätte das Beitrittsland im Stich gelassen, könne Hahn nicht mehr hören. "Die haben ja Geld bekommen und kriegen es wenn es einen Bedarf gibt", so der EU-Kommissar. Theoretisch könne auch der EU-Syrien-Fonds auf die Westbalkanländer ausgeweitet werden, aber die Länder müssten einen nachvollziehbaren Bedarf nachweisen.

Zentral ist für Hahn eine gemeinsame Sicherung der EU-Außengrenzen. "Ohne eine funktionierende Außengrenze wären wir niemals in diese Lage gekommen", sagte der EU-Kommissar. Er forderte ein Modell für "ganz Europa". Die seit einer Woche in der Ägäis laufende NATO-Mission, bei der unter anderem griechische und türkische Schiffe das Grenzmanagement übernommen haben, sei aber beispielsweise im Mittelmeer nicht möglich. "Wir brauchen etwas, was schnell verfügbar" und für den Einsatz an allen EU-Außengrenzen möglich sei, betonte Hahn, der nach der Dichtmachung der Westbalkan-Route eine Aktivierung der Route über die Adria nach Italien nicht ausschließt. Der gemeinsame Grenzschutz soll bis Jahresende umgesetzt werden. "Wir brauchen kein Europa, das sich wie eine Festung präsentiert", sondern wir müssen "uns sturmfest" machen. (APA, 11.3.2016)