Bild nicht mehr verfügbar.

Die Pharma- und Biotechnologieindustrie ist der weltweit forschungsintensivste Industriesektor.

Foto: Reuters/Stefan Wermuth

Wien – In der Pharmaindustrie ist eine stark zunehmende Marktkonzentration zu beobachten, die laut Kritikern zulasten der Forschungsaktivitäten gehen könnte. Zwar gab es in der Branche immer wieder Akquisitionen, derzeit erlebt sie jedoch eine riesige Fusionswelle. Mit der Übernahme von Allergan durch Pfizer um rund 160 Milliarden Dollar (rund 143 Milliarden Euro) soll 2016 die größte Pharmafusion aller Zeiten stattfinden. Wie die meisten Pharmariesen hat Pfizer seit einiger Zeit keine neuen umsatzstarken Medikamente auf den Markt gebracht. Allergan hingegen hat zwei potenzielle Blockbuster in Entwicklung, also Arzneimittel, die mehr als eine Milliarde Umsatz jährlich bringen könnten.

Auch das letzte Jahr war geprägt von Fusionen, Zukäufen und Tauschhandel: Der weltweit größte Pharmakonzern Novartis tauschte sein Impfstoffportfolio gegen die Krebsmedikamente der britischen GlaxoSmithKline, Merck und AstraZeneca kauften kleinere Konkurrenten auf, die vielversprechende Medikamente entwickelten, Eli Lilly erwarb die Novartis-Sparte für Tiermedizin. Die Novartis-Tochter Sandoz sowie das US-Unternehmen AbbVie schlossen erst kürzlich Deals über Eigentumsrechte an Arzneimitteln im fortgeschrittenen Entwicklungsstadium.

Abnehmende Forschungsproduktivität

Historisch gesehen hatten sich Pharmafirmen der Forschung und Entwicklung neuer Medikamente und der anschließenden gewinnbringenden Vermarktung verschrieben. Eine fundamentale Wende ist im Gange: Die Top-Player der Branche entscheiden sich immer öfter für den schnelleren, weniger riskanten Weg und kaufen die Medikamente anderer, häufig signifikant kleinerer Unternehmen – oder die Unternehmen selbst. Obwohl extrem kostenintensiv, ersetzen akquirierte Arzneimittel immer öfter selbst entwickelte.

Ein Treiber dafür ist die abnehmende Forschungsproduktivität: Laut einer Studie von Deloitte hat diese drastisch abgenommen, die Rendite von Forschung ist bei den zwölf führenden Pharmakonzernen von zehn Prozent 2010 auf knapp vier Prozent 2015 gefallen.

Nischenprodukte ersetzen Blockbuster

Robin Rumler, Präsident des Verbands der österreichischen pharmazeutischen Industrie (Pharmig), sieht die Gründe für die sinkende Produktivität in einer steigenden Spezialisierung pharmazeutischer Produkte: "Wir bewegen uns kontinuierlich weg von Blockbustern und hin zu Nischenprodukten."

Der Trend gehe weg von einer breiten Aufstellung an Arzneien mit verschiedenen Anwendungsbereichen hin zu wenigen Spezialgebieten. Wurde früher eher an allgemeinmedizinischen Medikamenten wie Cholesterinsenkern geforscht, seien die Medikamente heute in der Regel spezifischen Fachbereichen zuzuordnen, wie beispielsweise der Neurologie oder der Onkologie. Dies sei mit höheren Forschungskosten verbunden.

Laut Rumler können Pharmabetriebe durch Zukäufe ihr Entwicklungsportfolio optimieren, "Synergien nutzen" und effizient "Experten für einen medizinischen Fachbereich" werden. Aber: "Natürlich wollen Unternehmen nicht unendlich wachsen", sagt Rumler und betont, dass häufig auch Unternehmensbereiche abgestoßen würden.

Akquisitionen: "Schlecht für Wissenschaft"

Die massive Konsolidierung des Marktes wird nicht von allen Seiten begrüßt. Die Vergangenheit zeigt, dass Pharmafirmen im Zuge der Optimierung nach Akquisitionen oftmals Forschungsstandorte schließen und Einsparungen an Forschung und Entwicklung vornehmen. Erst kürzlich wurde bekannt, dass der Pharmahersteller Baxalta nach der Schließung von 80 österreichischen Forschungsstellen nun auch 700 Arbeitsplätze streicht, davon 130 in Österreich. Baxalta war letztes Jahr durch eine Abspaltung entstanden, im Jänner wurde ein Übernahmeangebot um rund 30 Milliarden US-Dollar angenommen.

Kritiker argumentieren, dass jene Finanzmittel, die in die milliardenschweren Zukäufe investiert werden, in der Forschung fehlen. John LaMattina, ehemaliger Präsident für Forschung und Entwicklung bei Pfizer, nannte die Marktkonsolidierung letztes Jahr "schlecht für die Wissenschaft, schlecht für Patienten und schlecht für die Medizin". Laut Nick Bosanquet, Professor für Gesundheitspolitik am Imperial College in London, hemme die anhaltende Konsolidierung den Wettbewerb und verlagere den Fokus auf "interne Restrukturierung" anstatt auf die Entwicklung "einer neuen Generation" an Medikamenten.

Forschungsintensivster Industriesektor

Pharmig-Präsident Rumler sieht das anders: "Im Gegenteil, die Industrie forscht ungebrochen." Forschung und Entwicklung sei heute allerdings "sehr geplant und strategisch", da die Pharmabranche eine "Hochrisikoindustrie" sei, argumentiert Rumler und spielt damit auf die hohen Kosten und den durch hohe Auflagen bedingten ungewissen Zulassungserfolg an. Mit 1,5 Milliarden Euro und mehr als zehn Jahren Forschungsdauer muss ein Unternehmen im Durchschnitt rechnen, bevor ein Medikament die Marktreife erlangt.

Wie das Industrial R&D Scoreboard der Europäischen Kommission für 2015 zeigt, formen die Pharma- und Biotechnologieindustrie zusammen den weltweit forschungsintensivsten Industriesektor. Die Forschungs- und Entwicklungsausgaben der Branche wuchsen 2015 um rund sieben Prozent. Forschung wird durch die immer komplexeren therapeutischen Forschungsgebiete kostenintensiver, weswegen der Zukauf von Arzneimitteln in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium zunehmend attraktiv erscheint. Laut Rumler wächst in der Branche jedoch der "Mut zu Forschungsinvestitionen" mit den steigenden Kosten. Andernfalls "würde sich die Industrie ihrer eigenen Zukunft beschneiden". (12.3.2016, Elena Pramesberger)