Die Gegendemo formiert sich.

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Die Demostranten skandierten "Wohnungen und Arbeitsplätze gegen eure rechte Hetze"

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In der Flüchtlingsunterkunft wohnen aktuell 56 Menschen, insgesamt hätten bis zu 750 Platz.

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Bei der örtlichen Buchhandlung bereitet man sich auf den Abend vor, Mitarbeiterin Helena Prinz will ein Zeichen für Toleranz setzen.

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Die Volkshochschule in Liesing setzte ebenfalls ein Zeichen.

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Wien – Dass sich vier Parteien zu einer gemeinsamen Position durchringen und diese dann auch gemeinsam medial präsentieren, kommt nicht alle Tage vor. In Liesing, dem 23. der Wiener Bezirke, war es am Montag wieder so weit: SPÖ, ÖVP, Grüne und Neos taten ihre Sicht der Dinge zu der für den Abend angekündigten FPÖ-Protestveranstaltung gegen das jüngst eröffnete Übergangsquartier für bis zu 750 Flüchtlinge im Bezirk kund. Die vier Bezirksfraktionen hatten schon bei den Bürgerversammlungen zur geplanten Unterkunft Geschlossenheit demonstriert.

Der Liesinger Pfarrer Bernhard Pokorny will mit dem Läuten seiner Kirchenglocken protestieren.
derstandard.at/von usslar

Bei Bezirksvorsteher Gerald Bischof (SPÖ) hörte sich die Kritik am blauen Profilierungsversuch am Montag so an: "Demos dieser Art lösen das Problem nicht – im Gegenteil. Das ist nicht mein Bezirk, wie ich ihn kenne und mag: ein Bezirk des Miteinanders."

Wohlgefühl erhalten

Auch ÖVP-Bezirksrat Ernst Paleta will Liesing nicht vereinnahmen lassen: Das Flüchtlingsheim in der Ziedlergasse sei "eine Chance zu beweisen, dass man Flüchtlinge aufnehmen kann und unser Wohlgefühl in Liesing weiter erhalten bleibt". Paleta ist sich sicher: "Die Vernunft, die in Liesing schon zu Hause ist, wird der Schlüssel sein, dass es klappt."

Christoph Pramhofer von den Neos ergänzte, wie wichtig umfassende Information für die Akzeptanz sei. Er sprach sich dafür aus, dass die Liesinger Unterkunft mit maximal 400 Personen belegt wird.

Tarik Darwish von den Grünen appellierte an Ehrenamtliche, sich bei Projekten rund um die Flüchtlingsunterkunft einzubringen. Die Grünen würden sich an der von mehreren linken Initiativen ebenfalls für Montagabend angemeldeten Kundgebung beteiligen. In Darwishs Augen handle es sich dabei aber um "keine Gegendemo", sondern eine "Demo für menschenwürdige Asylpolitik".

"Straße nicht unser Metier"

Damit war es dann auch wieder vorbei mit der Parteienharmonie: Denn das grüne Vorhaben sah man bei den politischen Mitbewerbern kritisch. Neos-Bezirksrat Pramhofer: "Dadurch verbreitert man nur die Bühne für die FPÖ-Demo." Bezirkschef Bischof (SPÖ): "Das ist nicht die richtige Antwort." ÖVP-Bezirksrat Paleta: "Die Straße ist nicht unser Metier."

Bei der von der FPÖ angemeldeten Kundgebung auf dem Liesinger Platz werden mehrere tausend Menschen erwartet. Als Teilnehmer ist unter anderen Parteichef Heinz-Christian Strache angekündigt. Der blaue Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer, der ebenfalls angekündigt war, wird nicht dabei sein, wie der STANDARD am Montag erfuhr.

"Wir werden eingeschränkt"

Ludmina Petz und Renate Wöhrer streifen nur deswegen beim Versammlungsort der Gegendemonstranten vorbei, weil sie auf dem Weg von ihrer Gemeindebauwohnung direkt neben dem Flüchtlingsquartier zur FPÖ-Demo daran vorbei müssen. Sie ärgern sich: "Wir können mit den Hunden nicht mehr raus." Würden die wie bislang unangeleint auf der Wiese Gasse gehen, komme jetzt sofort die Polizei, die permanent rund um die Ziedlergasse patrouilliere.

"Wir werden da eingeschränkt", finden sie und beschweren sich über die "vielen schwarzen Tücheln, wie in Istanbul". Die Flüchtlinge sollten heim nach Syrien, denn "ein Moslem wird in 1.000 Jahren kein Europäer". Und wenn schon, dann solle man sie nicht in Wohngebieten unterbringen, "wo man sich fürchtet".

Kirchenglocken als Protest

Während die FPÖ protestiert, ruft der örtliche Pfarrer zum Gebet. Um ein Zeichen für Flüchtlinge zu setzen, wird Bernhard Pokorny die Glocken der Pfarre Liesing zum Demo-Beginn um 18 Uhr anwerfen. Er will damit zur Solidarität mit den Geflüchteten aufrufen, aber auch mit jenen Österreichern, die Angst haben. Für die angekündigte Aktion hat er nicht nur Kritik einstecken müssen, er wurde auch erpresst. Wer das Glockenläuten als reine Provokation interpretiere, verurteile sich selbst, sagte Pokorny im STANDARD-Videointerview (siehe oben).

56 Menschen untergebracht

Die Flüchtlingsunterkunft ist rund zwei Kilometer vom Ort der Demonstration entfernt. Das ehemalige Bürogebäude in der Ziedlergasse ist das drittgrößte Quartier für Flüchtlinge in Wien. Die ersten Menschen, darunter 20 Kinder, zogen Anfang März ein. Laut Oliver Löhlein vom Arbeitersamariterbund leben aktuell 56 Flüchtlinge dort. Man erfahre auch viel Unterstützung von der Bevölkerung. Die Bewohner selbst wüssten via Social Media gut über die Aufregung rund um das Heim Bescheid: "Das sorgt auch bei ihnen für Angst."

Gegenkundgebungen

Neben der Kundgebung der Grünen haben mehrere Initiativen zu einer Gegendemo aufgerufen, die um 17 Uhr startete. Gegen 17.30 Uhr waren Schätzungen zufolge etwa 800 Menschen anwesend, die Veranstalter hatten etwa 2.000 erwartet.

Die "Kundgebung gegen den rassistischen FPÖ-Aufmarsch", die unter dem Motto "Flüchtlinge willkommen" steht, wird von der Offensive gegen rechts, die auch bei den alljährlichen Protesten gegen den Akademikerball federführend ist, und der Plattform für eine menschliche Asylpolitik veranstaltet. Diese hatte am 3. Oktober die Flüchtlingssolidaritätsdemo mit mehr als 100.000 Menschen auf dem Wiener Heldenplatz organisiert.

Buchhandlung für Toleranz

Unmittelbar auf dem Liesinger Platz war am Montagvormittag noch alles ruhig. Einzig in der Buchhandlung Lesezeit war Mitarbeiterin Helena Prinz damit beschäftigt, das "Schaufenster der Toleranz" für die Gegenöffentlichkeit vorzubereiten: "Wir wollen nicht denen, die laut schreien, das Feld überlassen", erklärte sie ihre Motivation im Gespräch mit dem STANDARD. Buchhandlungschef Christoph Eckl ergänzte: "Als ich gehört habe, was vor meiner Haustüre stattfindet, wollte ich eine Gegenstimme anbieten. Denn Liesing ist mehr als nur die Demo am Abend."

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Bei anderen Liesingern hat sich offenbar Resignation eingestellt. "Ich habe mich damit abgefunden, dass sie jetzt da sind", sagte eine Anrainerin zum STANDARD. Sie sei frustriert und werde nicht zur Demonstration gehen.

"Aufgeheizte Stimmung"

Beide Demos sind laut Polizei als Standkundgebungen auf dem Liesinger Platz angemeldet. Die Bühnen wurden Polizeisprecher Paul Eidenberger zufolge "Rücken an Rücken" aufgebaut – zwischen den beiden Gruppen sei "genügend Abstand". Die Gegenkundgebung werde sich vom Liesinger Platz aus auf die Breitenfurter Straße Richtung Nordosten erstrecken. 500 Beamte sind für den Abend abgestellt – die Demos sind bis 21 Uhr angemeldet.

Man erwarte eine aufgeheizte Stimmung, denn das Thema polarisiere. Es habe aber keine offenen Gewaltaufrufe gegeben. Es gebe auch keine Hinweise darauf, dass gewaltbereite Gruppierungen wie etwa der schwarze Block vor Ort sein würden, sagte Eidenberger. Die Situation sei vergleichbar mit der Schlusskundgebung der FPÖ Wien auf dem Stephansplatz vor den Gemeinderatswahlen im Oktober.

Verkehrsbehinderungen

Der ÖAMTC warnt für Montagabend vor Staus, da zwischen 17 und 21 Uhr Straßen rund um den Liesinger Platz gesperrt werden müssen – etwa die Breitenfurter Straße in beiden Richtungen, die Wiener Gasse stadteinwärts von Perchtoldsdorf kommend sowie abschnittsweise die Ketzergasse und die Brunner Straße. Der ÖAMTC rät dazu, Liesing großräumig zu umfahren.

Auch die Wiener Linien rechnen mit Verzögerungen. Betroffen sind die Buslinien 60A, 61A, 62A, 64A und 66A. Man werde "situativ reagieren" und Linien teilweise kurz führen, sagte ein Sprecher. (cmi, mvu, riss, szi, 14.3.2016)