Wien – Es gibt wohl hundertundein Gründe, um gegen das geplante Flüchtlingsheim in Wien Liesing zu sein. Ludmina Petz und Renate Wöhrer regt vor allem eines auf: Die Sache mit der Leine. "Wir können mit den Hunden nicht mehr raus", ärgern sich die beiden Bewohnerinnen aus einem der Gemeindebauten direkt neben dem soeben eröffneten Asylquartier in der Ziedlergasse. Seit die Polizei dort mehrmals täglich patrouilliert, dürfen sie nicht mehr ohne Leine mit ihren Hunden Gassi gehen, "wir werden eingeschränkt".

derstandard.at/von usslar

Geplante 750 Asylwerber, eine FPÖ-Demo, eine Gegendemo: Die große Flüchtlingskrise konzentrierte sich am Montagabend für rund zwei Stunden auf den kleinen Liesinger Platz. Die Freiheitlichen rund um Parteichef Heinz-Christian Strache und Vizebürgermeister Johann Gudenus hatten zu einer Demonstration gegen das Quartier in der Ziedlergasse gerufen. Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer hatte sich zwar angekündigt, aber bereits im Vorfeld abgesagt. Mehrere hundert Menschen, darunter Hundebesitzerinnen Petz und Wöhrer, folgten dem blauen Ruf, allerdings weit weniger als die 5.000 Teilnehmer, von denen die FPÖ später sprach.

Zahlreiche Menschen kamen zur FPÖ-Protestkundgebung.
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Strache holte weit aus: Er lobte den Grenzzaun von Ungarns Premier Viktor Orbán und kritisierte Österreichs "Hasenstallzaun". Heftig attackierte er den geplanten Deal der EU mit der Türkei zur Rücknahme von Flüchtlingen. Die Rolle des Scharfmachers fiel Gudenus zu, der vor Islamisierung und Völkerwanderung warnte.

"Wir schaffen das nicht und wollen das auch nicht schaffen", sagte er unter regem Beifall. "Wir sind bereit, für den Schutz unserer Frauen und Kinder zu kämpfen." Vielen Demoteilnehmern sprach er damit aus dem Herzen. "Ich glaube gar nicht, dass das böse Menschen im Flüchtlingsheim sind. Aber ohne Geld, ohne Beschäftigung? Was sollen die Leute anderes machen, als kriminell zu werden?", sagte eine Liesingerin. "Ich bin gegen die Ausländer, ich mag sie nicht und aus", formulierte eine andere.

Freilich wollten nicht alle Teil des besorgten Liesings sein. Mehrere hundert Menschen nahmen an einer Gegendemonstration teil, die von der Polizei vor dem Liesinger Platz angehalten wurde. Beide Kundgebungen verliefen großteils friedlich. Ein Teilnehmer der FPÖ-Kundgebung verhielt sich aggressiv und wurde in Gewahrsam genommen.

Eine weitere Festnahme wurde nach einer kurzen Handgreiflichkeit abseits der Gegendemo gemeldet, wobei es sich bei der randalierenden Person um eine amtsbekannte, psychisch beeinträchtigte Person gehandelt habe.

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Bereits am Vormittag formierten sich die Chefs der Bezirksparteien von SPÖ, ÖVP, Grünen und Neos, um ihr Missfallen über den Aktionismus der FPÖ kundzutun. Der rote Gerald Bischof drückte es so aus: "Demos dieser Art lösen das Problem nicht – im Gegenteil. Das ist nicht mein Bezirk, wie ich ihn kenne und mag: ein Bezirk des Miteinanders." Die Volkshochschule entrollte ein großes Banner mit der Aufschrift "Kein Platz für rechte Hetze". VHS-Chefin Caroline Eckhart sperrte das Gebäude, in dem auch einige Deutschkurse für Flüchtlinge stattfinden mit der Begründung: "Ich möchte sie keinen rechten Parolen aussetzen."

Der Liesinger Pfarrer Bernhard Pokorny rief für 18 Uhr zu einem Gebet auf. "Für die Flüchtlinge, die unsere Solidarität brauchen ebenso wie für die Österreicher, die Angst haben", wie er dem STANDARD sagte. Das angekündigte Glockenleuten ging bei dem Lärm unter.

Gegendemonstration in Liesing: "Wohnungen und Arbeitsplätze gegen eure rechte Hetze" skandierten die Teilnehmer.
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Die FPÖ wetterte lautstark gegen die Flüchtlinge. Lösungsansätze, was man also mit Asylwerbern machen soll, die schon in Österreich sind, konnte sie aber nicht anbieten. Der konkrete Anlassfall Ziedlergasse war bei Strache überhaupt erst zum Schluss seiner Rede Thema. Der rot-grünen Stadtregierung warf er vor, über die Bürger drüberzufahren. Den Allparteien-Beschluss in Liesing für das Asylquartier, dem einzig die Blauen nicht zugestimmt hatten, erwähnte er nicht.

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Erika Letinger war an diesem Abend in den blauen Sektor gekommen, um sich eine Meinung zu bilden. "Man muss sich informieren, bevor man verurteilt", findet die 76-Jährige, die es mit dieser Position in ihrer Familie nicht immer leicht hat. Eine der Töchter ist Hausbesorgerin im Gemeindebau neben dem Flüchtlingsquartier, sie lebt seit dessen Eröffnung in Sorge. Frau Letinger macht anderes Angst. Angesichts der angespannten Stimmung am Liesinger Platz sagt sie: "So beginnen Kriege." (Text: Karin Riss und András Szigetvari, Video: Maria von Usslar, Christian Fischer und Oona Kroisleitner, 14.3.2016)

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