In Daria Martins "Soft Materials" (2004) imitieren die Maschinen tänzelnd das Naturell der Menschen,...

Filmstill: Daria Martin, Maureen Paley (London)

...in Konrad Klaphecks "Der Chef" (1965) mutiert das Organische.

Foto: Museum Kunstpalast/Artothek

Peter Halley: "Total Recall" (1990)

Foto: Peter Halley, Hauser & Wirth (Zürich)

Wien – Es war ein Moment, in dem die Maschinen übernommen hatten. Der Trader ist fassungslos, seine Stimme überschlägt sich beinahe, als er beschreibt, was gerade passiert. Das so blitzschnell außer Kontrolle geratene Kursgeschehen am 6. Mai 2010 ist als sogenannter Flash-Crash in die Historie des Finanzkapitalismus eingegangen. Was passiert ist? Vereinfacht gesprochen, haben die algorithmischen Praxen des Hochfrequenzhandels einen Raum geöffnet, aus dem der Mensch ausgeschlossen ist: Im Tausendstelsekunden kleinen Handelsraum kann er nicht mehr agiere

Gerald Nestlers Mitschnitt dieses Börsentumults, Predatory Glitch, könnte in der Ausstellung The Promise of Total Automation in der Kunsthalle Wien nicht effektvoller installiert sein: Dort, wo im nüchternen Betonstiegenhaus die Versorgungsschächte münden, kann man sich für einen Moment in ein dystopisches Zukunftsszenario versetzen, sich als Haufen organischen Zellmaterials fühlen, der zwischen den Platinen der Prozessoren und Motherboards spazieren geht. "Machine, Machine, Machine, Machine ..." – jemand in unserer ureigenen Innenraumdisco hat gerade den Soundtrack zu unserer Kopf-Science-Fiction aufgedreht: Kraftwerk.

...kleine Pause...
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Zurück in die Realität, wo man freilich auf Dinge wie den Flash-Crash reagieren muss. Damals griff der Mensch ein, korrigierte den "Fehler". Am System änderte man jedoch nichts. Solche Vorgänge wiederholen sich. Und wieder wird der Vernunftbegabte eingreifen. Nachträglich. Wie lange geht so was gut? Für Nichtbörsianer ist es nicht wirklich verständlich, warum solche Vorfälle keine rigoroseren Konsequenzen haben, wieso der Mensch nicht die Spielregeln für die Maschine ändert.

Haben Gilles Deleuze und Felix Guatteri das mit dem "Regime der Unterwerfung" gemeint? Sie waren der Meinung, "dass ein geringes Maß an Unterwerfung uns von der maschinellen Versklavung befreit hat, ein hohes Maß uns jedoch in sie zurückfallen lässt." Byung-Chul Han hat also wohl seinen Deleuze gelesen, als er sagte, der Laptop sei ein Arbeitslager.

Freiheit und Kontrolle

"Wie kam es dazu, dass wir vollständig von Technologie abhängig sind, aber es gleichzeitig nicht vermögen, die Herausforderungen und Konsequenzen für die Gesellschaft zu verstehen? Wir können ihrer Logik kaum entkommen", spitzt es Kuratorin Anne Faucheret in einem einleitenden Essay zu jener Schau zu, die der Faszination an der Automatisierung nachspürt – oder besser: die uns einige knifflige Fragen in den Rucksack für den Ausstellungsrundgang mitgibt. Etwa jene, ob die steigende Automatisierung uns bereits versklavt hat, ob das Versprechen von individueller Freiheit, von unabhängigem politischem und emotionalem Handeln noch mit der bestehenden kybernetischen Kontrolle vereinbar ist?

Ausstellungsansicht mit Melanie Gilligans Installation "The Common Sense" (2015)
Foto: Stephan Wyckoff

Verschwindend wenigen Künstlern der Schau gelingt es, diese Aspekte so brillant aufzufächern wie Melanie Gilligan. Sie hat ihre Gedanken in die Form einer Scifi-Mini-TV-Serie gegossen: In The Common Sense geht es um die revolutionäre Innovation eines Gadgets, mit dem es möglich ist, ganz ohne Empathie die Gefühle des Gegenübers zu lesen. In Gilligans Utopie ist die Erfindung längst Alltag, und man hat für die ursprünglich hehre Idee, mithilfe der Apparatur eine kollektive politische Bewegung zu ermöglichen, nur Hohn übrig. Trotz des Scheiterns hielt man aber am Gadget fest, machte es sogar obligat. Warum? Weil die Innovation längst für andere, perfide Mechanismen dienlich gemacht wurde.

Die Präsentation schmuggelte auch ein paar technische Apparaturen ein: Ob erster automatischer Webstuhl, Morseapparat, kybernetischer Tic-Tac-Toe-Automat oder erster tragbarer Personal Computer, manche der Objekte besitzen mehr Verweiskraft als die versammelte Kunst. Und die ist ohne Kapitel oder argumentative Akzente etwas beschwerlich zu lesen. Dieser Unruhe setzt auch keine Ausstellungsarchitektur Halt oder Struktur entgegen. Vielmehr verstärkt die durch Displays bisher kaum bezwungene weite Halle das nervöse Vibrieren. So entsteht eine "Erzähl-Maschine", die ohne Punkt und Komma, nie müde zu werden scheint, neue Seiten auszuspucken.

Von berührender Poesie sind in The Promise of Total Automation allerdings die maschinisierten Selbstporträts von Mark Manders: surreale Kombinationen von Eisenapparaturen und Teebeuteln. Kraftvoll Daria Martins Tanz mit humanoiden Maschinen (Soft Machine, 2004) oder das technoide Menschenballett (What Shall We Do Next? (Séquence #2). 2014) von Julien Prévieux. (Anne Katrin Feßler, 16.3.2016)

Ausstellungsansicht mit Mark Manders "Finished Sentence (August 2010)" im Vordergrund
Foto: Stephan Wyckoff