Wie kleine Weltkugeln wirken die Perlenohrringe aus der aktuellen Kollektion von Sabrina Dehoff. Sie bestehen aus Acrylstein und vergoldetem Messing.

Foto: Sabrina Dehoff

Die drei Perlenschmuckstücke ganz oben stammen von Jane Kønig, die Perlenkette von Saskia Diez. Sabrina Dehoff schuf das Schmuckstück mit der blauen Perle, Shaun Leane den filigran-floralen Ring und Petra Zimmermann das grün schimmernde Schmuckteil.

Fotos: Shaun Leane, Saskia Diez, Sabrina Dehoff, Petra Zimmermann, Jane Kønig

Die Geschichte ist einfach zu herzig, um nicht damit zu beginnen: Als der allererste Regentropfen in den Ozean fiel, war er von den gigantischen Wellen um ihn herum überwältigt. Weil er so klein war, rief er: "Ich bin so bedeutungslos in dieser Weite." Der Ozean antwortete: "Kleiner Regentropfen, deine Bescheidenheit ist deine Würde, deshalb sollst du belohnt werden. Ich werde dich in einen Tropfen aus Licht verwandeln. Du wirst die reinste aller Juwelen sein, die Königin unter ihnen, und du wirst die Macht in der Welt der Frauen haben."

So erzählt eine alte Legende von der Geburt der Perle. Unzählige Regentropfen und gigantische Wellen später, ist die Prophezeiung des Ozeans längst in Erfüllung gegangen. Mehr noch: ob es sich um Kunstperlen, Fluss- oder Meerwasserperlen handelt, die Perle ist seit Jahrtausenden eine Protagonistin in der Schmuckwelt. Lange Zeit war sie allerdings meist nur als klassischer Ohrstecker zu sehen oder wurde mit ihresgleichen an Ketten aufgefädelt, sie galt als konservativ.

Mehr Chic

Dabei war die Perle nicht immer so tantenhaft besetzt. Schon eine Coco Chanel, die Modeschmuck als fixen Bestandteil ihrer Kollektionen betrachtete, verhalf der Perle zu mehr Chic und Alltagstauglichkeit. Dem eingedenk setzen sich immer mehr Designer spielerisch mit der legendären Kugel auseinander und schaffen spannende Schmuckstücke, indem sie Perlen zum Beispiel mit unterschiedlichsten Materialien und Formen kombinieren.

Perlen müssen heute nicht mehr nur vom Ohrläppchen baumeln, das dänische Schmuckstudio Vibe Harslof etwa spannt verschiedenfarbene Perlen auf eine Art goldenen Bügel, die gleich einer Spange das Ohr zieren, andere Designer schaffen kunstvolle Verästelungen oder hängen der Trägerin lässig gleich einem Kopfhörer tennisballgroße Kunstperlen um den Hals. Dass diese Spielereien nicht jeder Frau Sache sind, ist klar.

Auch in Sachen mehr Tragbarkeit tut sich im Perlendesign einiges, so werden Perlen auch gerne als Zwischenstücke für Diamantencolliers verwendet. Perlen kommen außerdem gern in verschiedenen Anordnungen daher, zeigen sich keck, sportlicher und behalten doch die ihnen innewohnende Eleganz. Die Designerin Jane Kønig schafft Ohrstecker, an deren Perle sich gleich einem kleinen Elefantenstoßzahn ein kleines Horn anschließt, sie bestückt einfache Ringe mit gleich fünf verschieden großen Perlen und distanziert sich so vom Blick auf den klassischen Ein-Perlen-Ring.

Blumenregen

Der britische Schmuckdesigner Shaun Leane, er gestaltet Schmuck für Stars von Sarah Jessica Parker bis Elton John und arbeitete lange für Alexander McQueen, nähert sich dem Terrain der Perle unter anderem über ein sehr altes japanisches Märchen, in dem die Göttin Sakuya Blumensamen aus den Wolken über dem Fujiyama regnen lässt. Dies inspiriert den Schmuckmacher zu diversen verzweigten, floralen und fragilen Schmuckstücken, die er mit kleinen Perlen versieht.

Die Schmuckdesignerin Sabrina Dehoff, sie bestückt mit ihrem Schmuck ebenso Prominenz in aller Welt, spielt mit Perlen, als wären sie Murmeln. Manche ihrer bunten Stücke wirken in ihren massiven Goldfassungen wie kleine Globen, die man sich an den Finger steckt oder am Ohr anbringt. Auf charmante und doch kecke Art wird ihr Schmuck so zu etwas sehr Modischem und Trendigem. "Spätestens seit dem großen Erfolg des Dior-Perlenohrrings von Raf Simons, ist die Perle nicht nur ein etwas altmodischer Klassiker, sondern kann mit dem richtigen Design sehr modern und cool sein ", sagt die deutsche Gestalterin.

Apropos Mode: Auch die große Schwester des Schmuckdesigns umgibt sich in zahlreichen aktuellen Kollektionen mit den schicken, kleinen Kugeln. Der deutsche Modemacher Tim Labenda zum Beispiel bestickt ein ganzes Oberteil mit verschieden großen und verschiedenfarbigen Perlen. Man muss schon zweimal hinsehen, um zu erkennen, dass diese aus Holz sind. Und Dries van Noten zeigt in seiner neuen Kollektion mit Perlen bestickte Pullover, Handschuhe, an dessen Saum Perlen aufgefädelt werden, oder eine Perle, die als Krawattennadel fungiert.

Ikonisch

Mehr mit dem Objekt an sich beschäftigt sich die Wiener Schmuckmacherin Petra Zimmermann. Sie arbeitet unter anderem mit zerstoßenen Perlen, vermischt sie mit Kunststoff, wodurch schimmernde Oberflächen entstehen.

"Fast spermatisch" bezeichnet sie diese Anmutung und sagt weiter: "Wenn ich ein Symbol für Schmuck entwickeln müsste, würde ich eine Perlenkette wählen oder vielleicht einen Solitärring, weil eben kaum ein anderes Schmuckstück Schmuck in einem allgemeinen Verständnis besser repräsentiert. So gesehen ist die klassische Perlenkette perfekt. Sozusagen 'iconic'. Abgesehen davon macht die Perlenkette alt. Je weiter man jedoch vom klassischen Maß der circa 45 cm langen Kette abweicht, desto stärker schwindet alles Biedere und Traditionalistische."

Sophisticated und elegant bricht auch die Münchner Designerin Saskia Diez mit alten Sehgewohnheiten und Konventionen und trägt wie Dehoff, Kønig und andere dazu bei, das etwas angestaubte Image des klassischen Perlschmucks vergessen zu machen. Über Perlen sagt sie: "Ihre Schönheit und auch die etwas bizarre Art, wie sie entstehen, haben immer fasziniert. Perlen sind ein sehr aufgeladenes Material, allein die Geschichten über Tränen, aus denen Perlen entstehen. Dabei war der Perlenschmuck lange Zeit eher langweilig, brav und wenig sexy oder modern."

In Diez' Kollektion befindet sich zum Beispiel ein Ring mit zwei Perlen – wenn man ihn trägt, sieht man nur die Perlen am Finger. Es sieht aus, als wären diese entweder gepierct oder als würden die Perlen einfach am Finger angeklebt. Gehalten werden die Kugeln von einem goldenen Halbring, der sich von unten an die Finger schmiegt.

Auch wenn die Tage des klassischen Ohrsteckers nicht gezählt sind, zeigt eine neue Formen- und Materialiensprache, dass die Perle ganz schön aufpoliert werden kann. Und noch etwas hat sich bestätigt: Der kleine Regentropfen aus dem großen, weiten Ozean hat es wirklich weit gebracht. (Michael Hausenblas, RONDO Exklusiv, 10.8.2016)