Es ist beeindruckend, mit welchem Tempo die Uhrenindustrie in den letzten Jahren die Entwicklung des mechanischen Uhrwerks vorangetrieben hat. Branchenbeobachter wie Philip Cassier stellen fest: "Noch nie war das Innovationstempo so hoch wie heute." Er begründet dies mit der zu befürchtenden Konkurrenz durch die Smartwatch. Diese sei zwar nach wie vor schwer einzuschätzen, sie treibe die Anbieter aber zu einem Wettlauf um neue Funktionen und zum Einsatz neuer, außergewöhnlicher Materialien, meint Cassier.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich Elektronik und Mechanik nicht mehr zwangsläufig feindselig gegenüberstehen. Das zeigt die auf ultraflache Uhren ("Altiplano") spezialisierte Richemont-Marke Piaget. Sie präsentierte auf dem Genfer Uhrensalon die auf 118 Stück limitierte Konzeptuhr "Emperador Coussin XL 700P", an der die Mitarbeiter des Luxusuhrenherstellers aus dem Schweizer Jura zwei Jahre geforscht haben.

Die "EMC Time Hunter" von Urwerk (oben) setzt auf elektronische Komponenten. Im Kaliber 700P von Piaget pulsiert ein Quarz.
Foto: Urwerk, Piaget

Das Ergebnis dieser Bemühungen ist das erste Hybrid-Automatikwerk von Piaget, Kaliber 700P, das mit einem elektronischen Regulator ausgestattet ist. Einem mit 32.768 Hertz pulsierenden Quarz, der die Umdrehungsgeschwindigkeit des Räderwerks und des Generators kontrolliert. Letzterer dreht sich deshalb genau 5,33-mal pro Sekunde. Die Vorrichtung im Mechanikwerk, das die gesamte Antriebsenergie liefert, sorgt auf diese Weise für eine hohe Präzision und als Draufgabe für Magnetfeldschutz.

Ein Superkondensator als Energiespeicher

Gangdauer und Präzision: Das sind die Fetische der Uhrenliebhaber. Um diese zu bedienen, kommen Werke-Tüftler auf immer neue Ideen. Siehe die "EMC Time Hunter" der unabhängigen Kleinstmanufaktur Urwerk. Passend zu ihrer technoiden Anmutung birgt die mechanische Stahl/Titan-Uhr besondere Features: Der mit einem mechanischen Manufakturwerk ausgestattete Zeitmesser ermöglicht es seinem Träger, mittels elektronischer Anzeigen festzustellen, wie viele Sekunden die Uhr vor- oder nachgeht.

Die Piaget Emperador Coussin XL 700 in der das neue Kaliber 700P werkt.
Foto: Piaget

Angezeigt werden die Ganggenauigkeit (wie viele Sekunden die Uhr pro Tag vor- oder nachgeht) und die Schwingungsweite der Unruh. Letztere ist ein Indikator für den Zustand des Uhrwerks und gibt Auskunft darüber, ob eine Wartung erforderlich ist. "Die Unruh ist das 'Herz' fast aller mechanischen Uhrwerke. Und wie bei unserem eigenen Herzen sind die Stärke des Herzschlags (Schwingungsweite) und die Gleichmäßigkeit der Schläge (Ganggenauigkeit) gute Indikatoren für unsere Gesundheit", erklärt Felix Baumgartner, Uhrmachermeister und Mitbegründer von Urwerk.

Altbewährtes und Innovatives

Den benötigten Strom erzeugt der Träger selbst, indem er an dem ausziehbaren Handaufzug kurbelt. Die Energie wird in einem Superkondensator gespeichert, eine Batterie gibt es nicht. Einer der Vorteile dieser Uhr ist, dass der Besitzer sie im Fall des Falles selbst justieren kann.

Während die einen immer mehr draufpacken, haben sich die Konstrukteure bei Glashütte Original überlegt, was sie weglassen könnten. Die zur Swatch Group gehörende Highend-Manufaktur präsentierte Mitte Februar das Kaliber 36. Vier Jahre Entwicklungsarbeit stecken in dem Werk, mit dem die Marke Altbewährtes und Innovatives unter einen Hut bringen will.

Das neue Kaliber 36 von Glashütte Original: ein kompaktes Automatikwerk, bei dem man die Zahl der Komponenten verringert hat. Erstmals verwendet wurde eine Silizium-Spirale.
Foto: Glashütte Original

Ein kompaktes Automatikwerk ist es geworden, bei dem man die Zahl der Komponenten verringert und auf potenziell verschleißanfällige Teile verzichtet hat. Wie etwa auf die herkömmliche Sperrklinke im Aufzugssystem, die durch das beidseitig aufziehende Reduktionsgetriebe überflüssig wird.

Verzicht üben

Erstmals verwendet wurde eine Silizium-Spirale. Dieses Hightech-Material ist nicht nur unempfindlich gegen Temperaturschwankungen und Magnetfelder, sondern schwingt auch äußerst isochron, sprich sehr konstant. Der zweiseitige Automatikaufzug sorgt dafür, dass sich das Uhrwerk kontinuierlich im optimalen Aufzugsbereich befindet – was zu "besten Gangergebnissen beiträgt", wie bei der Präsentation betont wurde.

Womit wir bei der Gangreserve wären: 100 Stunden sind es, ein Novum bei Glashütte Original. Erreicht wird das mit nur einem Federhaus. Dessen Durchmesser wurde vergrößert, der Federkern verkleinert. Damit konnte man eine längere Feder mit höherer Windungszahl einbauen – man hat quasi dem "Tank" der Uhr mehr Volumen gegeben und gleichzeitig die Energieeffizienz des Getriebes maximiert. "Elinflex" heißt das Material, aus dem die Feder ist. Es kommt von der Swatch-Tochter Nivarox.

Hier steckt das neue Kaliber drin: Die aufs Wesentliche reduzierte "Senator Excellence" von Glashütte Original.
Foto: Glashütte Original

Mit der neuen Bajonett-Aufhängung, mit der das Werk am Gehäuse ähnlich der Befestigung eines Kameraobjektivs fixiert wird, will man auch den Monteuren und Servicemitarbeitern das Leben leichter machen.

"Es ist ein zentrales Uhrwerk, das uns die Zukunft sichern wird", ist Glashütte-Original-CEO Yann Gamard überzeugt. Verbaut zunächst in der "Senator Excellence", soll das Werk den Wachstumskurs des Unternehmens stützen: Um 27 Prozent mehr Uhren hat man 2015 verkauft. Und die Nachfrage steigt immer noch. (Markus Böhm, RONDO Exklusiv, 28.4.2016)