Der 14. Dalai Lama, Tenzin Gyatso, ist 2011 von seinen politischen Ämtern zurückgetreten.

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Premierminister Lobsang Sangay und sein Herausforderer Penpa Tsering in Dharamsala, Indien, dem Sitz der tibetischen Exilregierung.

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Der Oppositionelle Lukar Jam hält ein Plakat in der Hand, das "echte Demokratie" fordert.

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Am 20. März wählen weltweit 130.000 Exiltibeter einen neuen Premierminister. Es sind die spannendsten Wahlen in der mittlerweile 57-jährigen Exilgeschichte. Bis 2011 war der Dalai Lama politisches und religiöses Oberhaupt der Tibeter. Doch nach 350 Jahren Dalai-Lama-Herrschaft hat der jetzige 14. Dalai Lama all seine politischen Ämter zurückgelegt, um die Demokratisierung im Exil voranzutreiben – eine Herausforderung für die fragmentierte Exilcommunity. Die Tibeter beten ihn weiterhin als Manifestation des Buddha an.

Zwei Kandidaten sind nach den Vorwahlen im Oktober noch übrig: der amtierende Premierminister Lobsang Sangay und der bisherige Abgeordnete Penpa Tsering. Sangay studierte in Harvard Jus und wurde 2011 vom Dalai Lama selbst vorgeschlagen. Tsering ist in Indien geboren und gilt als Realpolitiker, der mit allen Wassern gewaschen ist. Ihre Politik ist die gleiche: die des "mittleren Wegs" – für diese Kompromisspolitik hat der Dalai Lama 1989 den Friedensnobelpreis bekommen. Sie strebt nicht volle Unabhängigkeit für Tibet, sondern eine echte Autonomie innerhalb des chinesischen Staates an.

Politik als Glaubensfrage

Immer schon gab es Tibeter, die gegen diese Politik waren. Bisher gab es aber kaum Möglichkeiten, im vom Dalai Lama dominierten Exil Gehör zu finden. Der ehemalige politische Gefangene Lukar Jam stellte sich im Oktober als Erster offen gegen die Politik des Dalai Lama. Als einziger von fünf Kandidaten trat er für die Unabhängigkeit Tibets ein und nicht bloß für Autonomie.

Das wurde ihm von vielen übelgenommen. Gegen den "mittleren Weg" zu sein heißt, gegen den Dalai Lama zu sein. Penpa Tsering etwa weigerte sich, auch nur ein Wort mit Jam zu sprechen: "Dieser andere Typ, dessen Namen ich nicht aussprechen will, hat den Dalai Lama verunglimpft." Lukar Jam hielt dagegen: Es sei nicht der Dalai Lama, sondern das theokratische System, das er infrage stelle: "Die Frage ist: Darf der Dalai Lama irren? Wenn er nicht irren darf, dann ist das nicht Demokratie."

Auf Facebook wurde er wild beschimpft, eine Nutzerin brachte das Dilemma, in dem sich viele Tibeter befinden, auf den Punkt: "Wir haben diese Demokratie vom Dalai Lama bekommen. Nun verwendet Lukar Jam sie, um solche Fragen zu stellen."

Umstrittener Wahlprozess

Tseten Zöchbauer, langjährige Tibet-Aktivistin, sagt dazu zum STANDARD: "Die Tibeter haben nicht verstanden, was Demokratie ist." Vorwürfe wurden laut, dass die Wahlkommission im Herbst unlautere Methoden angewandt hat, um Jams Antritt zu sabotieren. Als einer der fünf Vorwahlkandidaten erhielt er schließlich 5,5 Prozent der Stimmen, so die offiziellen Ergebnisse. Mindestens in einem Fall konnte nachgewiesen werden, dass Stimmen falsch ausgezählt wurden.

Auch wenn Jam aus der Wahl ausgeschieden ist, hat er doch eine öffentliche Debatte angeregt. Während im Oktober laut offiziellen Angaben noch mehr als 60 Prozent für den Dalai-Lama-Kandidaten Lobsang Sangay stimmten, liegen die beiden verbliebenen Kandidaten laut einer Umfrage nun Kopf an Kopf. Mehrere, die mit Sangays Performance unzufrieden waren, begannen ihren Unmut zu äußern.

Kritik am Premierminister

Vor drei Wochen trat sogar eine Ministerin der Sangay-Regierung, die Außenministerin Dicki Choyyang, zurück. Wenige Tage später verkündete sie ihre Unterstützung für dessen Gegner Tsering. Die genauen Hintergründe sind nicht bekannt, sie begründete den Schritt so: Ein Premierminister solle nicht bloß auf Aussehen bedacht sein und sich nicht auf die Protektion des Dalai Lama stützen müssen. Er verstärke im Exil die Regionalpolitik, wie sie die drei großen Provinzen Ütsang, Kham und Amdo in Tibet seit Jahrhunderten betrieben, anstatt sie abzubauen.

Gegen Sangay kursieren außerdem schwerwiegende Vorwürfe: Er habe Geld aus China erhalten, immer wieder gibt es Korruptionsvorwürfe. Ungeschickte Aussagen wie "Tibet hatte niemals ein Land" sorgten für öffentliche Empörung und wurden von seinen politischen Gegnern ausgeschlachtet.

Ein ganz normaler Prozess in einer Demokratie, sollte man glauben. Doch nicht unbedingt im tibetischen Exil. Zöchbauer sagt dazu: "Im Westen hat man ein verzerrtes Bild von Tibet. Das Exil kämpft für eine echte Demokratie, das ist ein wirklich schwieriger Prozess." Am Ende des Tages zähle für die meisten Tibeter aber immer noch: Was will der Dalai Lama? Und welcher Kandidat beweist mehr Ergebenheit? (saw, 18.3.2016)