Wien – Die beiden vom Bundeskanzleramt und dem Völkerrechtsbüro im Außenministerium beauftragten Obergrenzen-Gutachter sind sich einig: Sollte der bei einem Bund-Länder-Flüchtlingsgipfel Ende Jänner vereinbarte Richtwert von höchstens 127.000 bearbeiteten Asylanträgen in Österreich innert fünf Jahren in der Praxis umgesetzt werden, so würde damit Völker-, Menschen- und Verfassungsrecht gebrochen.
So hatte es der Verfassungsjurist Bernd-Christian Funk am Donnerstag dem Standard gesagt – und so bestätigte es Stunden später auch der zweite Gutachter, der Innsbrucker Europarechtler Walter Obwexer: "Eine Obergrenze, die darin besteht, dass eine absolute Zahl festgelegt wird, ab deren Erreichen kein einziger Antrag mehr geprüft wird, ist mit völkerrechtlichen und unionsrechtlichen Vorgaben nicht kompatibel", meinte er im ORF-Mittagsjournal.
Keine Reaktion der Regierung
In der Presse relativierte Obwexer. Es gehe "viel eher" um die Frage, "welche Maßnahmen rechtskonform sind, um die Anzahl der Antragssteller zu reduzieren, sodass es gar nicht zu dieser Obergrenze kommt", sagte er. Doch auch so machte der doppelte Negativbefund bei den Auftraggebern am Donnerstag keinen Eindruck. Aus dem Büro von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) kam bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe auf Standard-Anfrage ebenso keine Reaktion wie aus den Büros von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (beide ÖVP).
Das "genaue Gutachten" liege noch nicht vor, sondern werde erst "zeitnah" von beiden Experten übergeben. Danach werde man reagieren, sagte wiederum eine Sprecherin von Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) dem Standard. Etwas ausführlicher die Stellungnahme vom Pressesprecher von Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ): Funk und Obwexer müssten erst das bei ihnen in Auftrag gegebene "Doppelgutachten mit gemeinsamen Schlussfolgerungen" überreichen, davor werde nichts kommentiert.
Offizielle Überreichung
Dem Vernehmen nach haben beide Gutachter ihre Expertisen dem Bundeskanzleramt und dem Außenministerium wie vereinbart am Donnerstag in elektronischer Form übermittelt. Funks Aufgabe war, den Richtwertplan verfassungsrechtlich zu begutachten. Der Innsbrucker Europarechtler Walter Obwexer hatte den völker- und europarechtlichen Part übernommen. Heute, Freitag, ist im Bundeskanzleramt die offizielle Überreichung angesetzt.
Für die handelnden Politiker, die die Asyl-Obergrenze von für heuer 37.500 Antragsannahmen in der Öffentlichkeit hochhalten, sei Obwexers und Funks Negativbefund wohl keine Überraschung, meint dazu der Wiener Anwalt und Asylrechtsexperte Georg Bürstmayr. Immerhin habe am Dienstag mit dem Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes, Ger-hart Holzinger, einer der ranghöchsten Juristen des Landes eine sehr ähnliche Meinung vertreten.
Insofern, so Bürstmayr, sei wohl auch "keine rechtliche Umsetzung des Richtwerts zu erwarten". Hingegen werde mit dem Richtwert "sicher auch weiter Politik gemacht". Immerhin habe allein die Ankündigung, dass der 37.501. Asylantragsteller in Österreich heuer abgewiesen werden solle, jene Entwicklung initiiert, die zu der Schließung der Westbalkanroute geführt habe.
Rasante Rechtsbrüche
"Dass man damit grundlegendes Flüchtlings-, Asyl- und Menschenrecht in etlichen Punkten bricht, wird einfach in Kauf genommen", kommentiert Bürstmayr. Ein solches "rasantes Hinunterlizitieren der Menschenrechtsstandards" habe er in Österreich bisher "noch nicht erlebt".
Im Standard-Gespräch hatte Funk kritisiert, dass im Fall der Obergrenzen-Anwendung für abgewiesene Asylantragsteller "kein Rechtsschutz vor einem unabhängigen Gericht mehr bestehe". Das sei der "Knackpunkt".
Auch gegen das international unbedingt geltende Refoulement-Verbot werde dann möglicherweise verstoßen. Dieses besagt, dass kein Mensch an einen Staat ausgeliefert werden darf, in dem ihm Folter, Todesstrafe oder eine Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität droht. (Irene Brickner, 18.3.2016)