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Streitbarer Politiker und deutscher Außenminister: Guido Westerwelle ist am Freitag in Köln gestorben.

Foto: APA/EPA

"De mortuis nil nisi bene", heißt es. Bei Guido Westerwelle hat man sich zu Lebzeiten schon nicht vorstellen können, dass man eines Tages, nach seinem Tod, nur gut von ihm sprechen würde. Das jedoch war, als er schon von der politischen Berliner Bühne abgetreten war, durchaus anerkennend gemeint. Westerwelle war keiner, an den man sich nur in einem Farbton erinnert. Er hat mit Lust und Wonne polarisiert und provoziert und musste oft auch einstecken. Am Freitag starb der ehemalige FDP-Chef und deutsche Außenminister im Alter von 54 Jahren an den Folgen seiner Leukämieerkrankung in Köln, teilte die Westerwelle Foundation mit.

Westerwelle stammte aus Bad Honnef nahe Bonn, war ein Kind der Bonner Republik. Er sei schon mit dem Aktenkoffer auf die Welt gekommen, spotteten später viele über den Ehrgeizigen, der immer hoch hinauswollte.

Die Eltern waren gutsituierte Rechtsanwälte, auch Westerwelle studierte Jus. 1980 trat er in die FDP ein und gründete die Jugendorganisation Junge Liberale (Julis) mit. Es waren die glorreichen Zeiten, in denen die FDP jahrzehntelang als Koalitionspartner gebraucht wurde: zuerst von den sozialdemokratischen Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt, dann 16 Jahre lang von Helmut Kohl. Als sein Vorbild hat Westerwelle immer Hans-Dietrich Genscher genannt. Sein politisches und persönliches Credo lautete: Leistungsbereitschaft muss belohnt werden. Und erlaubt ist, was gefällt, solange es keinem Dritten schadet.

Projekt 18

Er arbeitete sich bis zum Generalsekretär der FDP hoch, fiel in dieser Zeit (1994 bis 2001) schon durch seine flotten Sprüche auf. "Andere haben Lust auf Jesuslatschen und zerfetzte Jeans. Ich nicht", erklärte er 1996, den Grünen-Politiker Joschka Fischer sah er lange Zeit als Lieblingsgegner.

2001, als die FDP mit ihrem Vorsitzenden Wolfgang Gerhardt schwächelte, griff Westerwelle nach dem Parteivorsitz und machte gleich klar, dass er neben sich niemanden duldete: "Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt's einen, der die Sache regelt – und das bin ich." 2006 kam auch noch der Fraktionsvorsitz dazu. Zuvor, 2002, hatte er für eine Premiere in der FDP gesorgt: Zum ersten Mal gab es im Wahlkampf einen eigenen liberalen Kanzlerkandidaten. Das "Projekt 18" wurde ins Leben gerufen, 18 Prozent also sollten bei der Wahl erreicht werden – mit einem echten "Spaßwahlkampf". Wochenlang zog Westerwelle mit seinem blau-gelben "Guidomobil" durch das Land, und dann bekam die FDP bei der Wahl nur 7,4 Prozent. Westerwelle war angeschlagen, auch weil sich einige Monate später sein politischer wie persönlicher Freund Jürgen Möllemann umbrachte.

Weg von der Spaßpartei

Das war eine Zäsur in seinem Leben. Er zog sich zurück, wurde ernster, das "Spaßige" und "Krawallige" wurde eingemottet. Die FDP trimmte er zunehmend auf das Thema Steuersenkung, wobei die Summe der geplanten Entlastungen immer größer wurde. 2004 hatte er sein Coming-out. Auf dem Empfang zum 50. Geburtstag der deutschen Kanzlerin Angela Merkel erschien er mit seinem Lebensgefährten Michael Mronz, den er später auch heiratete. Kein Kommentar, alle wussten Bescheid, es war eine Erleichterung für Westerwelle.

Am Abend der Bundestagswahl 2005 sah man Westerwelle mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Zwar wurde Rot-Grün abgewählt, doch für Schwarz-Gelb reichte es nicht. Angela Merkel bildete ihre erste große Koalition. Vier Jahre später fuhr die FDP mit Westerwelle ihren bis dahin größten Wahlerfolg ein: 14,6 Prozent. Nie hat Westerwelle mehr triumphiert als an diesem Abend.

Doch dem Höhenflug folgte ein so beispielloser Absturz, dass man unweigerlich an Ikarus denken musste. Bei der Regierungsbildung 2009 unterlief dem Strategen Westerwelle ein Kardinalfehler. Geblendet von den hohen Beliebtheitswerten, die deutschen Außenministern in der Regel zuteilwerden, übernahm er das Auswärtige Amt in Berlin und nicht das Finanzministerium, in dem er sich um die Steuersenkungen hätte kümmern können.

Ernüchterung nach Wahlen

Das erhielt Wolfgang Schäuble (CDU), und der gönnte den Liberalen nichts. Die große und vollmundig angekündigte Steuersenkung blieb aus, die Liberalen sackten in Umfragen in den Keller. Dazu kamen Pannen und Peinlichkeiten. Sozialleistungen ("Hartz IV") brachte Westerwelle in einen Zusammenhang mit "spätrömischer Dekadenz", die Steuersenkung für Hoteliers und die gleichzeitige Spende der Hotelkette Mövenpick sorgten im Handumdrehen wieder für ein Image, das Westerwelle hatte ablegen wollen: Die FDP als Hort der sozialen Kälte, in der Porsche fahrende Zahnärzte wichtiger sind als das Gemeinwohl.

"Ihr kauft mir den Schneid nicht ab", schmetterte Westerwelle im März 2010 auf einem Landesparteitag seiner nordrhein-westfälischen FDP weniger den Delegierten und mehr der Presse entgegen. Doch auch außenpolitisch gelang kein Glanzstück. Unter Außenminister Westerwelle, der sich für eine "Kultur der militärischen Zurückhaltung" ausgesprochen hatte, enthielt sich Deutschland – an der Seite Russlands und Chinas – im UN-Sicherheitsrat in der Frage, ob über Libyen eine Flugverbotszone einzurichten sei. Dafür stimmten unter anderen die Bündnispartner USA, Frankreich und Großbritannien. Deutschland war plötzlich isoliert.

Obwohl natürlich auch Merkel auf dieser Linie war, wurde dieser diplomatische Schadensfall immer Westerwelle angelastet. Apropos Merkel: Westerwelle war auch ihr Vizekanzler. Einmal weilte Merkel im Sommer in den Dolomiten zum Wandern, und Westerwelle durfte die Kabinettssitzung leiten. Sie dauerte 18 Minuten, seine anschließende Pressekonferenz ("Man empfindet es schon als große Ehre") darüber hingegen 78 Minuten. Westerwelle, wie er leibte und lebte.

Rückzug von Parteispitze

Doch zunehmend war auch die eigene Partei von ihm genervt, zumal eine Landtagswahl nach der anderen desaströs endete. Im Mai 2011 gab Westerwelle als Parteichef auf. Seine Abschiedsworte an die Liberalen: "Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt's einen, der die Sache regelt, und das bin ich – jetzt nicht mehr."

Er blieb Außenminister, und erst kurz vor der Bundestagswahl 2013 geschah das, was Westerwelle sich immer gewünscht hatte: Die Partei sehnte sich nach ihm. Denn unter seinem Nachfolger Philipp Rösler war alles noch viel schlimmer geworden. Im Herbst passierte das bis dahin Undenkbare, die FDP flog nicht nur aus der Regierung, sondern auch aus dem Bundestag. Der Privatmann Westerwelle, damals 51 Jahre alt, suchte nach einer neuen Aufgabe. Für den "Elder Statesman" war er zu jung – und auch nicht anerkannt genug.

Er gründete die Westerwelle Foundation, eine Stiftung für internationale Verständigung. Doch lange war ihm die Arbeit daran nicht vergönnt. Im Frühjahr 2014 wurde bekannt, dass er an akuter Leukämie erkrankt war. Es war ein Zufallsbefund im Rahmen einer Voruntersuchung zu einer Knieoperation. Danach zog sich Westerwelle aus der Öffentlichkeit weitgehend zurück, veröffentlichte im November 2015 jedoch ein Buch über seine Erkrankung und trat im Fernsehen auf. Am Freitag ist er an den Folgen der Leukämie gestorben. (Birgit Baumann, 18.3.2016)