Feminismus und Lebensfreude: Die Salzburger Mädchenbeauftragte Teresa Lugstein (im Bild rechts) bei der internationalen Aktion gegen Gewalt an Frauen "One billion rising" im Februar dieses Jahres.

Foto: Renate Fuchs-Haberl

Tanzen, wie oben im Bild, blieb für Teresa Lugstein lange ein Traum. Sie konnte jahrelang nur mit dem Rollstuhl außer Haus.

Foto: Lugstein / privat

Salzburg – Federnden Schrittes erscheint Teresa Lugstein zum Interviewtermin im Salzburger Cafe Bazar. Man muss schon ganz genau hinsehen, um zu erkennen, dass dies für die 50-Jährige nicht ganz selbstverständlich ist. Lugstein war jahrelang auf Krücken und dann auf den Rollstuhl angewiesen, die Geschichte ihrer Genesung hat in Salzburg viele Menschen sehr berührt.

Beim STANDARD-Gespräch kommen daher auch immer wieder verstohlene Blicke von den Nachbartischen. Spätestens seit sie Anfang des Jahres das Cover der Salzburger Straßenzeitung "Apropos" zierte, ist ihr Gesicht stadtbekannt. Über die plötzlich erlangte Prominenz und Popularität kann sie herzlich lachen. Und: Sie will sie für ihre Arbeit nutzen.

Lugstein ist Mädchenbeauftragte des Landes Salzburg. Ihr Projekt, kurzgefasst: feministische Mädchenarbeit. Die Stelle beim Amt der Salzburger Landesregierung gibt es seit dem Jahr 2000, anfangs als Teil des Jugendreferates, inzwischen dort als Vollzeitstelle. "Es ist die einzige auf Landesebene in Österreich", sagt Lugstein, und da schwingt schon auch ein klein wenig Stolz mit.

Durchaus zu Recht, denn Lugstein ist es gelungen, die besonderen Angebote für Mädchen und junge Frauen sowie für Multiplikatorinnen wie etwa Pädagoginnen fest in Salzburg zu verankern. Viele Einrichtungen für junge Frauen in Österreich wie in Deutschland würden von Kürzungen bedroht, sagt Lugstein. "In Salzburg ist das für mein Projekt ,make-it' kein Thema."

"Stark sein!"

Die Palette der Aktivitäten des Mädchenbüros ist groß. Sie reicht von Serviceangeboten wie etwa dem "Girls Guide", in dem alle Anlaufstellen für junge Frauen relevanten Beratungsstellen aufgelistet sind, bis zu speziellen Schulungen über die Rolle von jungen Frauen im Jihadismus oder auch Projekten zum Thema "Selbstbewusstsein, Selbstbehauptung, Selbstverteidigung".

Und dann natürlich auch die immer wiederkehrende Thematik des medial transportierten Schlankheits- und Schönheitswahns, also der Unsicherheit junger Frauen im Umgang mit ihrem Körper und Aussehen. Es gibt Workshops und Infos zum Thema K.-o.-Tropfen ebenso wie ein Voice-Coaching in Zusammenarbeit mit dem Salzburg Rockhouse. Über allem steht das manchmal ausgesprochene, manchmal nicht formulierte Motto: "Stark sein!"

Besonderes Augenmerk legt die gebürtige Salzburgerin auf die Arbeit mit und für junge Frauen mit Behinderungen. Meist werde nämlich nicht mitgedacht, in welchen Lebensrealitäten die Mädchen stünden, sagt Lugstein. "Sie sind oft nicht mobil, ökonomisch abhängig und damit häufiger sexueller Gewalt ausgesetzt."

Das Mädchenbüro bietet für diese Zielgruppe alle zwei Jahre spezielle zweitägige Konferenzen an, bei denen nur junge Frauen teilnehmen. Spannend sei beispielsweise der Austausch von Menschen mit verschiedenen Behinderungen, erzählt Lugstein. Etwa wenn eine Rolli-Fahrerin merkt, wie es einem blinden Mädchen geht und umgekehrt.

Am Ende dieser Workshops werden dann immer ganz konkrete Forderungskataloge erarbeitet, um das Umfeld der Mädchen zu sensibilisieren. Dabei geht es meist um die eher kleinen Schritte, die das Leben erleichtern. "Mädchen, die in Behinderteneinrichtungen leben, wünschen sich mehr ausgebildete Ansprechpersonen, die selbst mit einer Behinderung leben", erzählt Lugstein. "Da können sie leichter reden."

Langer Leidensweg

Dass sich Lugstein besonders Mädchen mit Behinderungen widmet, hat auch viel mit ihrer eigenen Geschichte zu tun. Sie ist mit einem beidseitigen Ballenhohlfuß geboren worden, "die Füße haben sich immer weiter nach innen gekrümmt". Es folgten Schmerzen und mit 17 Jahren eine Operation, dann Monate im Gips und die ersten Krücken.

Zu den körperlichen Schmerzen kam auch noch sexueller Missbrauch. Sie habe, um den seelischen Schmerz nicht mehr zu spüren, Drogen genommen und selbstverletzendes Verhalten – also Ritzen, Essstörungen entwickelt – Suizidversuche inklusive.

Überwunden hat sie diese Erfahrungen erst Jahre später, nicht zuletzt mithilfe der von ihr ins Leben gerufenen Selbsthilfegruppe "Überlebt!", bei der sie bis heute mitarbeitet. Körperlich ging es ihr trotz Operation nicht besser.

Die Schmerzen blieben und wurden schlimmer. Immer öfter konnte sie ohne Rolli nicht mehr außer Haus.

Erst 2005 im Alter von 40 Jahren erhielt sie von einem Innsbrucker Neurologen die Diagnose Charcot-Marie-Tooth-Syndrom – eine neuromuskuläre Erkrankung, bei der die Muskeln von Füßen und Händen zunehmend ihre Funktion einbüßen. Heilungschancen null.

"Wunder geschehen nicht"

Wie lebt frau in so einer Situation? Rückblickend seien wohl zwei Faktoren wichtig gewesen, fasst sie zusammen. Zum einen habe sie als engagierte Feministin immer Sinn in ihrer Arbeit gesehen und diese auch mit teilweise enormen Schmerzen nie aufgegeben. Zum anderen habe sie nie "den Glauben an die eigene Kraft" verloren.

Warum sie, die man in Salzburg nur im Rollstuhl gesehen hatte, heute wieder unbeschwert durch die Straßen tanzen kann, ist für sie Dritten nicht so einfach zu vermitteln. Ihre behandelnde Ärztin hat jedenfalls in einem ORF-Interview von einem echten medizinischen "Wunder" gesprochen.

Obwohl sie sich selbst immer eher als rational denkenden Menschen sehe, habe sie sich irgendwann entschlossen, aus dem Schamanismus Kraft zu schöpfen. Es sei aber nur darum gegangen, ihre Lebensqualität zu verbessern, in dem sie etwa durch einen Trommelrhythmus in andere Bewusstseinssphären gelangt war. "In diesem Setting war gar nicht geplant, das Wunder geschehen, ich habe nicht körperliche Heilung gesucht", lacht sie.

Es geschah trotzdem. Obwohl medizinisch nicht erklärbar, sind im Zuge einer derartigen "Reise" die Schmerzen plötzlich verschwunden. Das Körperzellengedächtnis "Gehen ist Schmerz" habe sich aufgelöst, sagt sie. Der Rest war dann viel Arbeit. Trainingstunden im Fitnessstudio, langsam wieder gehen lernen, Unsicherheiten überwinden.

In Salzburg war sie plötzlich Stadtgespräch. "Gestandenen Mannsbildern ist das Wasser in den Augen gestanden", erzählt sie von berührenden Begegnungen.

Als Rezept für andere will Lugstein ihren Weg trotzdem keinesfalls verstanden wissen; eher schon als Beispiel, das Mut und Hoffnung gibt. Nur so will sie das Attribut "Role-Model" gelten lassen. "Weil", sagt sie, bevor sie aufspringt und zum nächsten Termin geht: "Wunder geschehen nicht, man muss auch etwas dafür tun." (Thomas Neuhold, 20.3.2016)