Leipzig: Eine Vielfalt an spannenden Stimmen hat das Bücherjahr eröffnet.

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Gegen Ende des Tages lungern all die Feen-, Zauber-, Computerspiel- und Fantasywesen müde auf den Stufen. Hier haben sie sich vormals ausgestellt. Für jene, die sie um ein Foto bitten, raffen sie sich aber noch einmal auf, ziehen müde Masken über verschwitzte Köpfe, nehmen ihre Werkzeuge und Waffen an sich und die typischen Posen ein.

Auch nach einem harten Tag, so viel gehört zur Cosplayer-Ehre dazu. Vor allem aber tun sie es, weil sie gesehen werden wollen. Weil nichts schlimmer ist, als nicht aufzufallen. Wie ihnen geht es auch den vielen Ausstellern, Diskutanten, Besuchern auf der Leipziger Buchmesse. Bei niemandem aber tritt das unverblümter zutage als hier, wo es keinen Hintergrund gibt, hinter der Erscheinung.

Boomtown und Besucherboom

In den letzten paar Jahren ist die Messestadt um jeweils mehr als 10.000 Einwohner gewachsen. Ist Leipzig das neue Berlin, fragte die New York Times über die zwei Autostunden südlich der zunehmend ausverkauften Hipster-hochburg liegende Alternative mit (noch) viel billigem Wohn- und Arbeitsraum. Auf der Messe selbst wurde der Raum am traditionell besucherstärksten Samstag hingegen knapp und ein Einbahnsystem zur Lenkung der Masse eingerichtet.

Rund 45 Millionen Euro soll die Veranstaltung in die Kassen der Region gespült haben. Doch gehe es, so Direktor Oliver Zille, nicht um Zahlen, die mit 260.000 ein Besucher-Rekordergebnis brachten, sondern um "Relevanz für die Branche und die Gesellschaft". Die behauptete der inhaltliche Schwerpunkt auf Flucht und das künftige Zusammenleben in Europa diesmal besonders stark.

Der "Denkraum" Europa

Nicht nur im als "Denkraum" genutzten Café Europa, wo in Lesungen und Diskussionen etwa Ägypten-Experte Karim El-Gawhary (Auf der Flucht) an Mittelmeer-Beobachtungen teilhaben ließ und Politikwissenschafterin Ulrike Guerot von "Menschenverschieberei" zwischen der EU und der Türkei sprach. Oder wo eine junge serbische Autorin klagte, dass sie erst nach Leipzig kommen müsse, um Schriftstellerkollegen aus der Heimat zu treffen, weil diese in Osteuropa so schlecht organisiert seien. Auch nicht nur in der Glashalle, wo die Besucher Kurzporträts von Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak lauschen konnten, wurde es politisch.

Das Thema zog sich – zufällig? – ebenso durch eine Vielzahl der ausgestellten Bücher, z. B. Karin Ivancsics Essayband Aus einem Strich die Landschaft (lex liszt) über das Aufwachsen im Dreiländereck Österreich, Tschechoslowakei und Ungarn, von dem ausgehend die Autorin Überlegungen zu Grenzen, Heimat, Auswandern anstellt. Und Selim Özdogans Wieso Heimat? Ich wohne hier zur Miete über eine Suche nach der türkischen Herkunft, erschienen bei Haymon, wo man sich heuer sehr zufrieden mit dem Interesse vonseiten des Publikums wie auch der Buchhändler zeigt.

Österreichs Beitrag

Damit wären wir bei den heimischen Beiträgen angelangt. Zweihundert weitere präsentierten sich u. a. gleich um die Ecke am österreichischen Gemeinschaftsstand und auf der Lesebühne im Österreich-Kaffeehaus, wo zudem auf den endlich initiierten österreichischen Buchpreis freudig angestoßen wurde.

Die Bedeutung eines solchen Preises bemisst sich nicht nur an der Öffentlichkeit, die er schafft. Sondern schon in seinem Bekenntnis zur Freiheit der Literatur und Kunst. Denn Medienfreiheit und Meinungsfreiheit, auch das ein Anliegen der Messeveranstalter, bedingen einander nicht zuletzt. Da passt es nur, dass heuer bei der Verleihung des Buchpreises nicht die größten Verlage zum Zug gekommen sind.

Eine Vielfalt an spannenden Stimmen hat das Bücherjahr eröffnet. Natürlich ist an den Ständen auch manch Erlässliches gesprossen. Aber das macht die Wiese ja so bunt. (Michael Wurmitzer aus Leipzig, 20.3.2016)