Der Angeklagte schrieb an seine Schulfreundin, dass sie niemanden sagen dürfe, "wohin ich gehe und was ich tue".

Illu.: Joseph Fitzgerald

Graz – "Dass so etwas in Österreich möglich ist", murrt der Staatsanwalt. Dass in einer öffentlichen, islamischen Privatschule in Wien junge Muslime "mit IS-Shirts herumlaufen, und das eine Woche, nachdem der IS-Staat ausgerufen wurde, und kein Lehrer etwas dagegen sagt", das wolle ihm nicht in den Kopf. Man solle sich vergegenwärtigen, was passiere, "wenn ein Schüler mit einem Hakenkreuz-Shirt in einer Schule herumgeht".

Die 18 Jahre alte Zeugin beteuert: "Ich habe das nicht mitbekommen, ich weiß davon nix." Sie habe mit ihm auch nie darüber gesprochen. Mit "ihm" meint sie den Burschen hinter ihr auf der Anklagebank, ihren ehemaligen engen Schulfreund, der jetzt gemeinsam mit seinem älteren Bruder unter anderem wegen terroristischer Vereinigung angeklagt ist.

IS-Symbol auf Homepage

Das IS-Zeichen zieht sich durch den ganzen Verhandlungstag im Grazer "Jihadistenprozess". Es gehörte – noch bevor es 2015 verboten wurde – offenbar irgendwie zum Alltag in den Moscheen. Nichts Besonderes. Männer duellierten sich etwa bei Ringkämpfen mit IS-Shirts im Sportraum einer Linzer Moschee, die wiederum das Emblem der Terrormiliz sogar auf ihrer Homepage hatte. Davon weiß der Imam dieser Moschee aber nichts. Das IS-Symbol als Logo auf der Homepage? "Das sehe ich jetzt zum ersten Mal" , sagt der als Zeuge geladene Prediger dem Richter, als dieser ihm einen Screenshot zeigt. "Sie wollen allen Ernstes hier vor Gericht sagen, dass sie nicht wissen, dass das IS-Zeichen auf ihrer Homepage war?", fragt der Staatsanwalt grantig nach. Nein, er habe die Gestaltung der Homepage einem aus dem Verein überlassen und das nicht nachgeprüft.

Gegen den Imam läuft ebenfalls ein Ermittlungsverfahren. Er sei als "Koryphäe" bekannt, sagt der Staatsanwalt und wundert sich, dass dieser nach wie vor in heimischen Moscheen predige. "Ja, ich mache Vorträge", sagt der Imam aus Linz. Und so nebenbei kommt die Rede auf seine Tochter, die irgendwelche Probleme "mit dem Schwimmen in der Schule" gehabt habe. Er habe nach besseren schulischen Alternativen für die Tochter gesucht. Und gefunden. In Wien etwa böten sich hervorragende Möglichkeiten. "Da gibt es islamische Kindergärten, islamische Volksschulen, in denen die Kinder den Koran lernen", wirbt der Imam.

Und weil er mit dem Gericht gerade angeregt im Disput ist, kommt auch das Thema Jihad zur Sprache. Es geht ja auch darum, ob er als Prediger die hinter ihm sitzenden Angeklagten womöglich verleitet habe, als Kämpfer nach Syrien zu ziehen. Er verwehrt sich strikt gegen diesen Vorhalt, sagt aber, dass es an sich ja nichts Schlechtes sei, "wenn Menschen aus Europa und anderswo nach Syrien fahren, um dort den Menschen zu helfen".

Schussverletzungen

Der Ältere des angeklagten Brüderpaares, ein 23 Jahre alter Österreicher mit türkischen Wurzeln, ist jedenfalls nach Syrien gefahren – wie er zugibt. Er habe aber nie für den IS gekämpft, sondern als Sanitäter für die gemäßigte Freie Syrische Armee gearbeitet. Nach seiner Rückkehr nach Wien – er hatte an den Beinen schwere Schussverletzungen erlitten – soll er seinen jüngeren Bruder für den IS angeworben haben. Was er aber entschieden zurückweist.

Der Jüngere war festgenommen worden, als er in die Türkei fliegen wollte. Er habe nur geplant, dort in eine islamische Schule zu gehen, beteuert er.

"Die wahren Muslime werden siegen"

Und jetzt kommt der Abschiedsbrief an die "leuchtende Rose des Islam" ins Spiel. In diesem Schreiben teilte er seiner Schulfreundin, die heute als Zeugin aussagt, nicht nur mit, dass die wahren Muslime siegen werden, sie solle auch niemandem sagen, "wohin ich gehe und was ich tue". Sie solle den Brief in tausende Stücke reißen oder wegwerfen und "einen anderen Bruder heiraten". Und sie solle die sozialen Medien deaktivieren. Warum? "Er wollte, dass ich mich mehr um meine Religion kümmere", erklärt sie dem Richter.

Für den Staatsanwalt sind diese Passagen ein ernster Hinweis darauf, dass der Angeklagte nach Syrien wollte, was dieser mit dem Hinweis auf ein Rückflugticket aus der Türkei kategorisch verneint. Von der jungen Freundin, deren Bekleidung nur das Gesicht unbedeckt lässt, erfahren Staatsanwalt und Richter genau nichts.

Sie parliert eloquent durch die Fragen, beteuert, dass sie einiges nur vage, mehrheitlich gar nichts mitbekommen habe und dass sie sich mit Themen wie dem IS gar nicht beschäftigt habe. Und wenn der Staatsanwalt schon leicht rote Zorneswangen bekommt, fragt sie leise provokant nach: "Was ist jetzt genau Ihre Frage?" (Walter Müller, 22.3.2016)